Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
im Laufe der Wochen rapide. In den Fraktionssitzungen
findet keine Debatte über das Thema Bundespräsident statt, es ist Chefsache, doch mit der Zeit erschließt sich den Hinterbänklern immer
weniger, warum ein Rücktritt des Bundespräsidenten das größere Übel
wäre. Ähnlich wie im Bellevue verliert die Partei- und Fraktionsführung im Zuge der Krise den Apparat hinter sich, da dieser nichts mehr
mitbekommt. Außerdem tragen viele Abgeordnete bereits bei Eurokrise und Energiewende einen Kurs mit, von dem sie nicht immer überzeugt sind. Bei der Präsidentenwahl im Juni 2010 hätten viele in der
Unionsfraktion mit Gauck gut leben können. Während der Krise findet
manch einer seine ursprünglichen Bedenken gegen Wulff schließlich
bestätigt, vor allem was die persönlichen Freundschaften des ehemaligen Ministerpräsidenten in Hannoveraner Unternehmerkreisen betrifft,
die viele in der Unionsfraktion schon immer fragwürdig fanden.
Während viele Abgeordnete die Aufregung um die Hausfinanzierung für übertrieben halten, sind die Urlaube des Ministerpräsidenten
Wulff bei befreundeten Unternehmern durchaus ein Thema, und zwar
unter moralischen Gesichtspunkten. „Das macht man einfach nicht",
fasst ein Unionsabgeordneter die Einschätzung vieler Fraktionskollegen
zusammen. Tatsächlich sind zahlreiche Bundestagsabgeordnete quer
durch alle Fraktionen seit einigen Jahren regelrecht paranoid, was Einladungen zu Veranstaltungen vor allem der Wirtschaft betrifft, da sie
fürchten, sich angreifbar zu machen. Im Zweifelsfall erkundigen sie sich deshalb bei der Fraktionsführung, ob man eine konkrete Einladung annehmen kann oder nicht oder zu welchen Bedingungen, beispielsweise durch Übernahme von Flug-oder Hotelkosten. Dementsprechend gering ist das Verständnis bei vielen, als sich offenbart, dass
Wulff als Ministerpräsident in diesem Grenzbereich etwas sorglos unterwegs war. Das Krisenmanagement des Bundespräsidenten trägt seinen Teil dazu bei, dass der Rückhalt in der Unionsfraktion im Bundestag schmilzt wie Eis in der Sonne. Dabei wird vor allem Wulffs Fernsehauftritt am 4. Januar 2012 als Tiefpunkt wahrgenommen: „Wie ein
Pennäler" habe Wulff dagesessen, fasst es ein Hinterbänkler seinerzeit
hinter vorgehaltener Hand zusammen, bei anderen klingt es ähnlich.
Am 13. Januar schließlich macht sich einer von ihnen Luft: Der
Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann legt
dem Bundespräsidenten in einer Fernsehsendung bei zdf neo nahe,
zurückzutreten. Wellmann war nur eingesprungen, denn eigentlich
war der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, der Chef des Auswärtigen
Ausschusses im Bundestag, eingeladen. Doch Polenz musste absagen.
So sitzt schließlich Wellmann im Studio, gemeinsam mit dem SPDAbgeordneten Sebastian Edathy, der sich während der Sendung wundert, dass der CDU-Kollege sich so weit aus dem Fenster lehnt. Vorher
hat sich Wellmann allerdings grünes Licht bei einem Kollegen aus der
Fraktionsführung geholt: In dem Telefonat macht Wellmann kein
Geheimnis daraus, dass er sich kritisch zu Wulff äußern werde. Er wird
nicht zurückgehalten. Der nächsten Fraktionssitzung sieht Wellmann
nach seinem Fernsehauftritt dennoch mit gespannter Erwartung entgegen. Ein CSU-Abgeordneter und ein Fraktionskollege aus Niedersachsen sind die Einzigen, die ihn vor Beginn der Sitzung ansprechen
und ihr Missfallen zum Ausdruck bringen. Fraktionschef Kauder stellt
bei der Eröffnung der Fraktionssitzung dann aber nur fest: „Manche
werden jetzt ein Strafgericht erwarten, aber es wäre jetzt nicht sinnvoll,
darüber zu diskutieren."
In vielerlei Hinsicht steht Wellmann stellvertretend für eine große
Gruppe schweigender Unionsabgeordneter, die sich sehr schnell von
Wulff abwenden. „Du hast ausgesprochen, was wir alle denken", sagt
ein anderer Hinterbänkler zu Wellmann. Auch der Brandenburger
CDU-Abgeordnete Hans-Georg von der Marwitz kommt in diesen
Tagen zu nie da gewesener Bekanntheit: In einem Interview mit dem
Deutschlandfunk sagt er ebenfalls Mitte Januar, die Debatte um Wulff
sei „fast unerträglich" geworden. Die Medien stürzen sich auf diese
Wortmeldungen, da sich sonst niemand äußert. Da die Unterstützung
für Wulff auch nur von einigen wenigen artikuliert wird, entsteht der
Eindruck, als sei die Fraktionsführung vom Kanzleramt zur Solidarität mit dem Bundespräsidenten verdonnert worden, während Wulff
die Unterstützung der meisten
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