Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Abgeordneten jedoch längst verloren
habe. Bemerkenswert schnell und öffentlich setzt sich die CDU in
Niedersachsen von Wulff ab. Ministerpräsident David McAllister,
Wulffs ehemaliger Kronprinz und Nachfolger, sagt der Frankfurter
Allgemeinen Sonntagszeitung Mitte Januar süffisant, ihn lade niemand
nach Ibiza ein. „Und ich mache sowieso lieber Urlaub an der Nordsee
im Strandkorb in Cuxhaven." Die nächste Landtagswahl genau ein
Jahr später im Blick, lässt McAllister seinen früheren Ziehvater Christian Wulff fallen.
Je länger die Krise dauert, desto mehr begibt sich die Union in eine
Zuschauerposition. Von Anfang an ist die Bereitschaft, sich schützend
vor den „eigenen" Bundespräsidenten zu stellen, erstaunlich gering. Im
Laufe der Wochen reduziert sich die öffentliche Unterstützung für
Wulff aus seiner eigenen politischen Familie auf die Kanzlerin und
vereinzelte kraftlose Wortmeldungen, wie beispielsweise von CDUGeneralsekretär Hermann Gröhe. Dabei ist kein politischer Amtsträger in Deutschland so sehr auf die Unterstützung anderer angewiesen,
wenn er unter Druck gerät, wie der Bundespräsident. Das Staatsoberhaupt ist weitgehend wehrlos. Seine Möglichkeiten zur Kommunikation in der Krise sind limitiert, weshalb andere für ihn in den Ring
steigen müssen. Die Union wendet sich jedoch schnell ab, als habe sie
mit dem Bundespräsidenten, der ja über den Parteien stehen soll, nach der Wahl nichts mehr zu tun. CDU und CSU fehlt einerseits die Kraft,
Wulff offensiv zu verteidigen, andererseits aber auch der Mut, ihn
fallen zu lassen. Letztlich duckt man sich weg und nimmt in Kauf,
dass die Krise im Laufe der Wochen zunehmend zu einem Machtkampf zwischen Präsident und Medien wird.
Ein Unionsabgeordneter fasst die Stimmung in der Fraktion Mitte
Januar so zusammen: „Die meisten waren da schon der Überzeugung,
es geht nicht mehr." Zu diesem Zeitpunkt tritt Peter Hintze auf den
Plan. Hintze setzt sich in verschiedene politische Talkshows, um Wulff
zu verteidigen. Bereits bei der Planung des Fernsehinterviews, das
Wulff am 4. Januar 2012 gibt, ist Hintze intensiv involviert: Er kommt
ins Bellevue, um Wulff zu beraten und ihn moralisch zu unterstützen.
Die beiden kennen sich lange, Wulff schätzt Hintzes Rat, nicht erst,
seitdem seine Präsidentschaft wackelt. Peter Hintze ist eines der alten
Schlachtrösser der CDU, ein Mann, der keine Auseinandersetzung mit
dem politischen Gegner oder den Medien scheut. Im Januar 2012 ist
er 61 Jahre alt und als Parlamentarischer Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, ein Parteisoldat, wie er im Buche steht. Hintze war unter Kohl Generalsekretär der CDU, kommt aus der NRWCDU und gilt seit Jahren als einer der engsten Vertrauten von Angela
Merkel. Er hat Autorität in der Partei.
Im Sommer 2012 sitzt er in seinem Büro im Bundeswirtschaftsministerium und betont, dass er sich aus eigenem Antrieb entschieden
habe, Wulff zu unterstützen. Nein, die Kanzlerin habe ihn nicht vorgeschickt. „Ich habe mich selbst entschieden, ihn zu verteidigen. Ich
habe mich für eine faire, faktenbasierte Diskussion eingesetzt." Am
Ende spielt es keine Rolle, ob Merkel ihn gebeten hat oder nicht - sie
hat seinen Einsatz für Wulff zweifelsfrei begrüßt und zu schätzen gewusst. Hintze entschließt sich, Wulff öffentlich zu verteidigen, als dazu
innerhalb der Union sonst praktisch niemand mehr bereit ist. Hintze
hält Wulff auch auf dem Höhepunkt der Krise noch für einen guten
Bundespräsidenten. Christian und Bettina Wulff, meint er auch ein
halbes Jahr nach dem Rücktritt noch, hätten Deutschland „ein sympathisches Gesicht" gegeben. Wenn Hintze auf die Rolle der Medien in der Causa Wulff zu sprechen kommt, redet er sich regelrecht in
Rage. „Ich kann mich an keinen Vorgang erinnern, wo alle derart in
dieselbe Richtung gelaufen sind. Die Kontrollfunktion der Medien ist
ausgefallen."
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass es Hintzes Einsatz für Wulff
ist, der der Staatsanwaltschaft in Hannover am Ende den entscheidenden Anlass liefert, doch Ermittlungen gegen den Bundespräsidenten
einzuleiten. Als die Krise am B. Februar 2012 mit dem Bericht der
Bild-Zeitung über einen gemeinsamen Sylt Urlaub der Wulffs mit dem
Filmunternehmer David Groenewold noch einmal in Fahrt kommt,
will Hintze Wulff in einer Talkshow mit einem Schriftstück aus der
Staatskanzlei in Hannover entlasten. Die Rettungsaktion geht aber
nach
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