Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
hinten los: Das Dokument entlastet Wulff nicht, sondern veranlasst die Ermittler in Hannover, sich die geschäftlichen Beziehungen
zwischen Groenewold und dem Land Niedersachsen noch einmal genauer anzusehen. Im Ergebnis bringt die Staatsanwaltschaft Hannover
das Ermittlungsverfahren gegen den Bundespräsidenten auf den Weg
und Wulff tritt zurück. Die persönliche Beziehung zwischen Hintze
und Wulff nimmt dadurch jedoch keinen Schaden: Als Wulff im Juni
2012 in Großburgwedel seinen Geburtstag feiert, gehört Hintze zu
den wenigen politischen Freunden, die eingeladen sind - genauso wie
Philipp Rösler.
Der FDP-Chef ist ein langjähriger, guter politischer Freund von
Christian Wulff. Rösler war Wirtschaftsminister und Stellvertreter
von Wulff in der schwarz-gelben Koalition in Niedersachsen, bevor er
als Bundesgesundheitsminister nach Berlin ging. Aus der gemeinsamen Zeit in Hannover sind Wulff und Rösler befreundet. Rösler gehörte zu den stärksten Unterstützern von Wulff in der FDP, als dieser
nach Horst Köhlers Rücktritt Kandidat für das Bellevue wird. Im
Jahre 2011 wurde er FDP-Chef und Bundeswirtschaftsminister. Doch
Röslers Position als Parteichef ist alles andere als stark, als Wulff unter Druck gerät. Die FDP selbst erreicht im Januar 2012 ihr historisches
Umfragetief, im ARD-Deutschlandtrend kommt sie auf zwei Prozent.
Partei und Parteichef haben also ganz eigene Probleme, während der
Bundespräsident um sein politisches Überleben kämpft. Ähnlich wie
die Union entscheidet sich die Parteiführung für einen Kurs, der versucht, Solidarität mit Wulff und die Forderung nach Aufklärung der
Vorwürfe in Einklang zu bringen. Die FDP-Führung ist dementsprechend nicht begeistert, als sich mit dem bayerischen Bundestagsabgeordneten Erwin Lotter nun gerade ein Liberaler als Erster öffentlich
von Wulff distanziert, und das bereits am 17. Dezember 2011, also vier
Tage nach Ausbruch der Krise.
Lotter hat Wulff einen Brief geschrieben, auf den er keine Antwort
erhalten hat, und gibt nun eine Pressemitteilung heraus, in der er Wulffs
Rücktritt fordert. Die Medien stürzen sich auf Lotter, der den Hauptstadtjournalisten bis dahin völlig unbekannt war. In Interviews haut
der Bayern-Liberale ordentlich auf den Schlamm, „der umgehende
Rücktritt" sei „ein Gebot des Anstands und der Verantwortung". Damit
ist Lotter der erste Bundestagsabgeordnete überhaupt, der von Rücktritt
spricht. Die Parteiführung versucht, ihn einzufangen: Jörg van Essen,
der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, meldet sich telefonisch und redet dem Fraktionskollegen höflich, aber bestimmt ins Gewissen und von der Chefin der Bayern-FDP, Bundesjustizministerin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, bekommt Lotter eine unmissverständliche SMS, in der sie ihn zurückpfeift. Erfolglos - Lotter gibt ein
Interview nach dem anderen und sich selbst einer Art medialem Rausch
hin. Er erlebt einen Medienhype, der ihn völlig überrascht und der
tatsächlich in keinerlei Verhältnis zu Lotters politischem Einfluss steht.
Auf einmal steht RTL vor der Haustür, Zeitungen und Radioprogramme rufen an. Als Wulffs Mailbox Nachricht zum Jahreswechsel publik
wird, legt Lotter noch einmal nach: Wulff müsse Schloss Bellevue sofort
räumen, er schäme sich, ihm seine Stimme gegeben zu haben. Während
die Medien Lotter groß herausbringen, halten seine Fraktionskollegen
ihn für einen Opportunisten. Beim Dreikönigstreffen der FDP in Stuttgart im Januar 2012 wird Lotter geschnitten.
Mit Jürgen Koppelin meldet sich Anfang Januar jemand aus der
Fraktionsführung der Liberalen zu Wort, der den Bundespräsidenten
in Schutz nimmt und außerdem als einer der wenigen Politiker in der
Zeit der Krise die Medien offen kritisiert. Unmittelbar nach dem Fernsehinterview des Bundespräsidenten bei ARD und ZDF und eine Woche nach Bekanntwerden der Mailbox-Geschichte spricht Koppelin
im Deutschlandfunk von einem „Kampf zwischen Bild-Zeitung, den
Medien und dem Bundespräsidenten". Der Anruf des Bundespräsidenten bei Bild-Chef Diekmann sei ein Fehler gewesen, für den Wulff
sich entschuldigt habe. Dieselben Journalisten, stellt Koppelin aber
weiter fest, die sich sonst dagegen aussprächen, dass der Staat Telefonate abhöre, verbreiteten jetzt Wulffs Anruf auf der Mailbox des BildChefs. Die Kritik an Wulff verliere sich im „Klein-Klein", während
das Land andere Probleme habe. Koppelin unternimmt damit
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