Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
auszuschlachten, weht nun ein anderer Wind.
Als Gabriel Anfang Januar das atomare Zwischenlager Asse in Niedersachsen besucht, wird der neue strategische Ansatz deutlich: Nicht
der Bundespräsident wird attackiert, sondern die Kanzlerin. Merkel
müsse „eine ehrliche Neubewertung der Fähigkeiten von Herrn Wulff
in diesem Amt vornehmen", sagt Gabriel. „Das ist keine Causa Wulff
mehr, das ist eine Causa Merket" Auch die Grünen entdecken das
Präsidentenproblem neu und entscheiden sich zeitgleich für denselben
parteipolitischen Ansatz. Parteichefin Claudia Roth stellt fest, dass das
Problem „nun eher bei Merkel" liege. SPD-Generalsekretärin Andrea
Nahles wird am 9. Januar 2012 noch deutlicher: Die Kanzlerin müsse
den Bundespräsidenten öffentlich zum Rücktritt auffordern. Die Taktik
geht jedoch nicht auf. Mit wachsender Ratlosigkeit registriert man bei
SPD und Grünen, wie die Beliebtheitswerte der Kanzlerin im Zuge der
Präsidentenkrise nicht sinken, sondern steigen. Schließlich versuchen SPD und Grüne, Merkel unter Druck zu setzen, indem sie eine Nachfolgedebatte befeuern, obwohl Wulff gerade erst im Fernsehen erklärt
hat, er wolle im Amt bleiben. SPD-Chef Gabriel teilt Merkel über die
FrankfurterAllgemeine Zeitung mit, „wenn Christian Wulff zurücktreten sollte, würde die SPD nicht versuchen, daraus parteitaktische Vorteile zu ziehen". Es ist der Versuch, Merkel in den eigenen Reihen
unter Druck zu setzen, obwohl die SPD zweifellos weiß, dass die Kanzlerin nicht daran denkt, Wulff fallen zu lassen. Unterdessen offenbart
die SPD-Führung Schwächen in ihrer Kommunikation in der Präsidentenkrise: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und der Parteichef widersprechen sich öffentlich. Während Nahles für den Fall, dass
der Bundespräsident zurücktritt, Neuwahlen fordert, spricht sich Gabriel dagegen aus. Der Versuch, die Krise parteipolitisch zu instrumentalisieren, scheitert letztlich kläglich.
Tatsächlich gerät die Anfang Januar 2012 bewusst in Gang gebrachte Nachfolgedebatte zwischenzeitlich ziemlich außer Kontrolle. Der
Innenexperte der SPD-Fraktion, Sebastian Edathy, schlägt in der ersten
Januarhälfte Joachim Gauck als Nachfolger für Wulff vor. Damit verselbstständigt sich die Nachfolgediskussion in einer Art und Weise, die
nicht im Interesse der SPD-Führung ist. Dass Kandidaten gehandelt
werden, bevor Wulff zurückgetreten ist, beschädigt vor allem die Namen derer, die genannt werden. Edathy meldete sich in den Wochen
zuvor bereits mehrfach mit Kritik am Krisenmanagement des Bundespräsidenten zu Wort, was die SPD-Führung bis dahin tolerierte. Edathy
war nicht vorgeschickt worden, wie zwischenzeitlich von den Medien
gemutmaßt wurde, sondern hatte aus eigenem Antrieb die Öffentlichkeit gesucht. Als Edathy aber anfängt, sich öffentlich für eine Kandidatur von Gauck auszusprechen, ist die rote Linie überschritten. Parteichef Gabriel fordert ihn per SMS auf, sich zurückzuhalten.
Die SPD-Führung ist selbst in keiner ganz einfachen Ausgangslage
in der Präsidentenkrise. Ein großer Teil der SPD-Spitze kommt wie
Christian Wulff auch aus Hannover: Sigmar Gabriel war Ministerpräsident in Niedersachsen, er war Christian Wulffs Vorgänger. Fraktionschef FrankWalter Steinmeier kommt ebenfalls aus Hannover, wo er unter Ministerpräsident Gerhard Schröder Chef der Staatskanzlei
war, und Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer
der SPD-Bundestagsfraktion, war Minister in Niedersachsen. Generell
nehmen die Medien in den Wochen der Krise auch das unter die Lupe,
was sie „Hannover-Connection" oder auch „Maschsee-Connection"
nennen, nämlich das Beziehungsgeflecht zwischen Politik und Wirtschaft in Niedersachsen. Da in diesem Zusammenhang auch immer
der Name Gerhard Schröder fällt und zwangsläufig die Frage aufkommt, ob es möglicherweise bei der aktuellen SPD-Führung auch
etwas zu entdecken gibt, geraten die Genossen im Zuge der Krise des
Bundespräsidenten zusätzlich unter Handlungsdruck. Schonen sie
Wulff, entsteht der Eindruck, bei ihnen gäbe es möglicherweise auch
etwas zu entdecken.
Letztlich scheut sich die Opposition jedoch, in der Präsidentenfrage Klartext zu reden, und meidet eine klare Rücktrittsforderung an
Wulff wie der Teufel das Weihwasser. So vereinbart die Partei- und
Fraktionsführung der Grünen sogar, auf jede Rücktrittsforderung zu
verzichten: „Anfang Januar haben wir beschlossen, dass wir das
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