Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
„Es gab eine
unglaubliche Chaotisierung der Abläufe", erinnert sich ein ehemaliger
Mitarbeiter. Immer wieder wird der Entwurf zwischen Sprecher, Pressestelle, Chef des Präsidialamts, Persönlichem Büro und Anwaltsbüro
hin und her geschickt, kommentiert und ergänzt. „Am Ende wusste
man kaum noch, welche die endgültige Fassung ist." In der Erklärung
nimmt Wulff zu den Vorwürfen rund um seine Hausfinanzierung
Stellung und bringt außerdem sein „Bedauern" zum Ausdruck, dass er den Privatkredit seinerzeit im Landtag verschwiegen hat. Seine
Wortwahl macht jedoch deutlich, dass er eigentlich keinen Grund
dafür sieht, sich zu entschuldigen. Damit trifft die Erklärung nicht
den Nerv: In den Medien wird die Frage, ob die Hausfinanzierung
juristisch in Ordnung ist, sehr schnell überlagert von einer moralischen
Debatte über den verschwiegenen Privatkredit, über das Staatsoberhaupt, das als Ministerpräsident dem Landtag nur die halbe Wahrheit
gesagt hat. Dass die Anfrage formal korrekt beantwortet wurde, spielt
am Ende keine Rolle.
Erst in Berlin erfährt Olaf Glaeseker, dass Wulff bei Kai Diekmann
eine lange Nachricht auf der Mailbox hinterlassen hat und dass bei
der Bild-Zeitung intensiv darüber diskutiert wird, was man damit
machen soll. Glaeseker macht Wulff klar, dass er Diekmann anrufen
und um Entschuldigung bitten muss. Das Gespräch kommt am 15.
Dezember zustande und dauert nur sehr kurz. Glaeseker ist dabei, als
Wulff Diekmann anruft. Gleichzeitig verschlechtert sich das Verhältnis zwischen Wulff und seinem langjährigen engsten Vertrauten spürbar. Den Sitzungen der Krisenmanager im Bellevue folgt Glaeseker
weitgehend teilnahmslos. Als er Anfang Dezember von dem Privatkredit erfuhr, den Wulff bei Edith Geerkens aufgenommen hatte, war
er fassungslos. Jahrelang hatte er geglaubt, über alles im Leben seines
Chefs informiert zu sein, wofür die Medien sich einmal interessieren
könnten. Glaeseker fühlt sich von Wulff getäuscht. Er spricht mit
Präsidialamtschef Lothar Hagebölling darüber, der ebenfalls erst seit
Dezember von dem Kredit weiß, obwohl er es war, der seinerzeit im
niedersächsischen Landtag die Kleine Anfrage der Grünen über
Wulffs geschäftliche Kontakte zu Egon Geerkens beantwortet hatte.
Doch Hagebölling hat nie ein so enges Vertrauensverhältnis zu Wulff
gehabt wie Glaeseker - die Enttäuschung des Sprechers ist ungleich
größer, das Vertrauen zu Wulff dauerhaft gestört. Glaeseker denkt
darüber nach, seinen Posten zur Verfügung zu stellen, doch Hagebölling bringt ihn davon ab.
Wenige Tage später gerät Olaf Glaeseker selbst unter Druck. Am
22. Dezember 2011 erreicht Glaeseker ein Fragenkatalog des Stern, in dem er detailliert nach Urlaubsaufenthalten gefragt wird, die er kostenlos in Feriendomizilen des Eventmanagers Manfred Schmidt verbracht haben soll. Glaeseker wird bewusst, dass er in den Fokus der
Recherchen geraten ist, er ahnt, was ihm noch bevorsteht, und will
sich lieber aus der Öffentlichkeit zurückziehen, bevor auch er Schlagzeilen macht. Gleichzeitig drohen die Vorwürfe gegen seinen Sprecher
den Bundespräsidenten zusätzlich zu belasten: Wulff und Glaeseker
beschließen deshalb gemeinsam, dass es besser für beide wäre, wenn
Glaeseker von der Bildfläche verschwindet. Dabei wird nach einer
Lösung gesucht, die dafür sorgen soll, dass Glaeseker zunächst weich
fällt: Er wird beurlaubt, damit er zunächst weiter Anspruch auf seine
Bezüge hat. Am 22. Dezember gibt das Präsidialamt in einer dürren
Erklärung von vier Zeilen Länge bekannt, dass der Chef des Präsidialamtes den Sprecher des Bundespräsidenten „von seinen Aufgaben
entbunden" hat und dass Glaesekers Stellvertreterin Petra Diroll die
Aufgabe ab sofort kommissarisch wahrnimmt.
Die Trennung von Glaeseker ist unvermeidlich, sie bedeutet für
Christian Wulff aber einen tiefen Einschnitt, unabhängig davon, dass
das Verhältnis zwischen beiden in den Monaten zuvor schon abgekühlt
war. Jahrelang war Olaf Glaeseker Wulffs Experte für die Medienwelt,
er war sein Korrektiv und letztlich der Einzige, der ihm immer wieder
auch offen die Meinung gesagt hat. Glaeseker war in der Position, das
tun zu können. Wulff bleibt nach der Trennung von Glaeseker letztlich
zurück mit einem engen Kreis von wohlmeinenden und loyalen Mitarbeitern, die ihm aber niemals die Stirn bieten würden. Er ist fortan
in Bellevue und Präsidialamt umgeben von
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