Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
warten, bis jede einzelne Reise von den
Medien thematisiert wird. Dennoch fehlt auf der Liste der Sylt-Aufenthalt mit David Groenewold, über den die Bild-Zeitung schließlich am
8. Februar berichtet, in Verbindung mit dem pikanten Detail, dass
Groenewold versucht habe, dem Hotel einen Maulkorb zu verpassen. Der Sylt-Aufenthalt führt letztlich dazu, dass die Staatsanwaltschaft
Ermittlungen einleitet. Es spricht einiges dafür, dass es dazu nicht gekommen wäre, wäre dieser Urlaub mit allen anderen offengelegt worden. Zwar hätte der Aufenthalt Wulff auch im Dezember in Erklärungsnot gebracht, dennoch war die Ausgangslage eine ganz andere:
Der Druck auf die Staatsanwaltschaft, Ermittlungen einzuleiten, war
vor Weihnachten längst nicht so groß wie Anfang Februar.
In den Wochen der Krise wird die Kommunikation des Bellevue
von außen völlig anders wahrgenommen als von innen. Während die
Medien Wulff eine „Salamitaktik" und ein taktisches Verhältnis zur
Wahrheit vorwerfen, sieht man die Dinge im Bellevue völlig anders.
Im Umfeld des Bundespräsidenten ist man vielmehr davon überzeugt,
eine Strategie der totalen Offenheit zu fahren. „Diese Offenheit hat
dazu geführt, dass wir immer neue Fragen provoziert haben, mit dem
Ergebnis, dass wir komplett abgesoffen sind", fasst ein ehemaliger Mitarbeiter des Bundespräsidenten die Binnenwahrnehmung im Schloss
zusammen. Einige im Umfeld des Präsidenten sind der Ansicht, dass
man zu viele Informationen herausgibt und damit selbst dazu beiträgt,
dass die Krise sich immer weiter fortschreibt. Wieder andere argumentieren, dass es möglicherweise das Beste wäre, die Angelegenheit direkt
komplett in die Hände der Staatsanwaltschaft zu geben und einfach
abzuwarten, zu welchem Ergebnis die Ermittler kommen. Doch letztlich weiß man, dass das keine Option ist.
Die engsten Mitarbeiter des Bundespräsidenten erleben die Krise
als „Perpetuum mobile", indem die Medien bereits Bekanntes immer
neu drehen und wenden. Je länger die Krise dauert, desto mehr gibt
man sich im Schloss düsteren Verschwörungstheorien hin. Der Bundespräsident sucht die Schuld für seine Situation vor allem bei den
Medien, die nicht nur berichteten und kommentierten, sondern auch
als Ankläger und Richter aufträten, um das Urteil schließlich auch
noch zu vollstrecken. Spätestens seit die Nachricht auf der Mailbox von Kai Diekmann mit dem Jahreswechsel ihren Weg in die Öffentlichkeit findet, obwohl der Anruf mehr als zwei Wochen zurücklag
und Diekmann Wulffs Entschuldigung akzeptiert hatte, sieht man
sich im Bellevue als Opfer einer Kampagne. Dabei versteht Wulff
nicht, dass er mit seiner Krisenkommunikation selbst erheblich dazu
beiträgt, dass die Medien das Futter für eine Fortschreibung der Krise bekommen. Im Kern findet keine kritische Selbstreflexion statt -
weder über die Substanz der Vorwürfe gegen Wulff noch über das
mangelhafte Krisenmanagement.
Da Wulff überzeugt ist, er habe sich nichts vorzuwerfen, weiß er
auch nicht, worauf er seine Mitarbeiter vorbereiten soll. Die verhängnisvollen Schwächen, die Wulffs Kommunikation nach außen hat,
weist sie auch nach innen auf. Diejenigen, die versuchen, ihn durch
die Krise zu schleusen, wissen letztlich nie, ob sie wirklich im Bilde
sind: „Wir wussten selbst nicht, was in den nächsten Tagen in der
Zeitung stehen würde", erinnert sich eine ehemalige Mitarbeiterin.
Das gilt auch für die Mailbox-Nachricht, von der nach dem Ausscheiden Olaf Glaesekers im Präsidialamt kaum jemand etwas weiß. Nach
der Erklärung des Bundespräsidenten vor laufenden Kameras am 22.
Dezember 2011 gingen Wulff und seine engsten Mitarbeiter mit der
vagen Hoffnung in die Weihnachtspause, das Schlimmste überstanden
zu haben. Das erweist sich jedoch als Illusion: Mit dem Jahreswechsel
katapultiert die Geschichte über die Mailbox-Nachricht die Krise in
eine neue Dimension. Die Krisenmanager im Bellevue erfasst das blanke Entsetzen. Für die meisten von ihnen ist es die erste Nachricht, die
sie im neuen Jahr erreicht - sie erfahren sie aus den Medien. „In dem
Moment habe ich gedacht, das war's", erinnert sich einer von ihnen.
Bei einer Krisensitzung am Abend des 3. Januar 2012 fällt die Entscheidung, am Tag darauf ein Interview im Fernsehen zu geben.
Das Ziel ist dabei vor allem, die Bevölkerung zu erreichen und bei
ihr Verständnis für die Situation des Bundespräsidenten zu wecken. Strategisch
Weitere Kostenlose Bücher