Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
zur Tagesordnung zurückzukehren: Mit einigem Sarkasmus registriert man im Präsidialamt, dass die
öffentlichen Auftritte des Bundespräsidenten im Lichte der Krise ein nie
gekanntes Medienecho erfahren. Dies gilt nicht nur für den Empfang
der Sternsinger im Schloss, sondern auch für den Neujahrsempfang des
Bundespräsidenten und schließlich als Wulff in der zweiten Januarhälfte bei einer Gedenkstunde zum 70. Jahrestag der Wannsee-Konferenz
spricht - alles wird live im Fernsehen übertragen. Normalität will sich
aber nicht einstellen, im Gegenteil: Im Bellevue verfolgt man mit wachsender Ratlosigkeit, wie sich die Krise immer weiter fortschreibt. Vergeblich sucht man nach einem Ausweg. Im Kern aber nimmt man die
Situation als Machtkampf zwischen Präsident und Medien wahr.
Für das Bundespräsidialamt hat der Schutz des Amtes Priorität vor
der Selbstverteidigung Christian Wulffs. Das Amt soll keinen Schaden
nehmen. Dementsprechend schwindet im Laufe der Wochen der Rück
halt, den Wulff innerhalb des präsidialen Apparates erfährt. Dies wird
mit der Zeit sehr deutlich, als Einzelheiten über die interne Kommunikation des Präsidenten gezielt nach Außen getragen werden. Anfang
Januar berichten die Medien darüber, wie Wulff die Krise bei einem
Neujahrsempfang für die Mitarbeiter des Präsidialamts als "Stahlgewitter" bezeichnet, das bald vorbei sein werde. Dass der Präsident intern
martialische Durchhalteparolen ausgibt, befördert den Eindruck, dass
sich im Bellevue eine Bunkermentalität breitmacht. Dass Interna nach
außen getragen werden, wird wiederum als Indiz dafür genommen, dass
die Unterstützung intern bröckelt. Der Eindruck stimmt. Das Krisenmanagement spielt sich im Wesentlichen im Schloss ab, wo der Präsident
und seine engsten Mitarbeiter ihre Büros haben. Zwar befindet sich die
kleine Pressestelle im Gebäude des Präsidialamts, genauso wie das Büro
des Präsidialamtschefs, dennoch liegt das „Krisenzentrum" im Schloss.
Im Laufe der Wochen entfremden sich die einzelnen Referate des
Präsidialamts immer mehr vom „Krisenzentrum", da sie in das Management der Krise nicht eingebunden sind und die Entwicklung
weitgehend über die Medien verfolgen. Sie gehören dazu, sind aber
nicht eingeweiht, was sie vor Loyalitätskonflikte stellt. Lothar Hagebölling, der Chef des Präsidialamts, gelingt es im Laufe der Wochen nicht mehr, den Apparat „mitzunehmen". Hagebölling ist mit
der Krise überfordert und schließlich zu keiner Entscheidung mehr
fähig. Am Ende wird er krank. Während man im unmittelbaren
Umfeld des Präsidenten entschlossen ist, die Krise an der Seite des
Staatsoberhaupts durchzustehen, beginnt der restliche Apparat bald,
die Situation und damit auch den Präsidenten vor allem als Belastung
zu empfinden. Im Persönlichen Büro des Bundespräsidenten registriert man, dass die Zuarbeit aus einzelnen Referaten nahezu zum
Erliegen kommt. „Es gab eine regelrechte Absetzbewegung", erinnert
sich ein ehemaliger Mitarbeiter des Bundespräsidenten. Das „Krisenzentrum" im Schloss beginnt gleichzeitig, sich immer mehr einzuigeln. Am Ende der Krise, als der Präsident schlussendlich zurück
tritt, ist der kleine Kern der engsten Mitarbeiter physisch und psychisch am Ende und zum Teil nicht weniger traumatisiert als das
Präsidentenpaar selbst. Man sieht sich gemeinsam als Verlierer. Für
manchen bedeutet der Rücktritt Wulffs das Ende der eigenen Karriere. Der überwiegende Teil des Präsidialamts aber nimmt den
Rücktritt nur noch erleichtert au£
Als der Rücktritt mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft Hannover, Ermittlungen einzuleiten, unausweichlich scheint, ist auch Christian Wulff am Ende erleichtert, obwohl er sonst sicherlich nicht zurückgetreten wäre. Als unklar ist, ob die Staatsanwaltschaft diesen entscheidenden Schritt gehen wird, ist der Staatsbesuch in Italien ein letzter
Versuch, zur Normalität des Präsidentenalltags zurückzukehren. Tatsächlich aber macht die Reise deutlich, wie zerrüttet das Verhältnis des Präsidenten zu den Medien ist. Ernüchtert kehrt das Präsidentenpaar
von der Reise zurück. Gleichzeitig rückt ein Ereignis in Sichtweite, das
Wulff sehr wichtig ist: Für den 23. Februar 2012 ist die Gedenkfeier für
die Opfer der rechtsradikalen NSU-Morde vorgesehen und der Bundespräsident soll die Rede halten. Aus Sicht der Opferfamilien ist Wulff
eine gute Wahl, nirgendwo in der Bevölkerung ist sein
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