Der böse Wulff?: Die Geschichte hinter der Geschichte und die Rolle der Medien
Rückhalt so groß
wie bei den Migranten. Das wird bei der Gedenkfeier deutlich, als der
Vater eines der Mordopfer sich bei Wulff bedankt. Bereits im November
hatte der Bundespräsident die Opferfamilien ins Schloss Bellevue eingeladen. Unterdessen droht die Krise um den Bundespräsidenten die
Feier zu überlagern, was auch Wulff nicht will. Die Staatsanwaltschaft
löst das Problem am Abend des 16. Februar, indem sie beantragt, die
Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben. Die Nacht verbringen
Wulff und seine engsten Berater damit, die Rücktrittserklärung zu formulieren. Für Christian Wulff ist die Krise mit seinem Rücktritt nicht
beendet, sie setzt sich vielmehr mit unverminderter Wucht fort, als es
um Ehrensold, eine Büroausstattung mit Personal und den Zapfenstreich für den Ex-Präsidenten geht. Der Absturz geht weiter, er trägt
am Ende die Züge einer öffentlichen Hinrichtung.
Die Parteien
as politische Berlin hat im Dezember 2011 kein Interesse
daran, dass Christian Wulff zurücktritt. Zumindest will
niemand diesen Rücktritt aktiv herbeiführen. Die Opposition im Bundestag, vor allem SPD und Grüne, haben sich mit dem
Bundespräsidenten arrangiert. Mit seinem Engagement beim Thema
Integration konnte Wulff bei denen punkten, die bei seiner Wahl
noch Joachim Gauck gegen ihn in Stellung gebracht hatten. Strategisch betrachtet bringt ein Rücktritt des Bundespräsidenten SPD und
Grünen nicht viel, da sie mit Blick auf die Zusammensetzung der
Bundesversammlung keine Gestaltungshoheit haben: Union und FDP verfügen im Dezember 2011 über eine hauchdünne Mehrheit.
Doch auch ganz grundsätzlich besteht zunächst kein Interesse, die
Situation, in die Wulff mit Ausbruch der Krise gelangt, parteipolitisch
auszuschlachten, da der Rücktritt Köhlers gerade einmal anderthalb
Jahre zurückliegt. Niemand will leichtfertig das Staatsoberhaupt atackieren, um sich selbst nicht angreifbar zu machen.
Allerdings ist ziemlich schnell klar, dass die Geschichte, die am 13.
Dezember in der Bild-Zeitung steht, durchaus relevant ist. Auch bei
Union und FDP nimmt man das Problem von Anfang an ernst: „Die
Verbindung mit dem Vorwurf, er habe das Parlament getäuscht, machte die Sache sofort brisant", erinnert sich ein einflussreicher Unionsabgeordneter. Dementsprechend laviert die Politik in den ersten Tagen
der Krise zwischen Kritik und Solidarität mit dem Staatsoberhaupt.
Da die Einzelheiten der Hausfinanzierung der Wulffs aufgrund der
Kommunikationsstrategie des Bellevue zunächst viele Fragen aufwerfen, ist einige Zeit nicht eindeutig, wie groß die Probleme tatsächlich
sind, mit denen Wulff zu tun hat.
Für den Bundespräsidenten selbst ist die Unterstützung der Kanzlerin in den Wochen der Krise das Entscheidende. Angela Merkel ist bis
zum Schluss fest entschlossen, Wulff im Amt zu halten. Die Präsidentenkrise ist Chefsache im Kanzleramt. „Das Thema hat ausschließlich
im Büro der Bundeskanzlerin stattgefunden", erinnert sich ein Mitarbeiter der Kanzlerin. Merkel und Wulff suchen häufig den direkten
Draht per Telefon. Die Kanzlerin selbst hat viele Gründe, warum sie
Wulff im Amt halten will. Zwar hat Merkel sich über die eine oder
andere Kritik des Bundespräsidenten geärgert, aber das Verhältnis ist
dennoch gut. Entscheidend aber ist, dass Merkel unbedingt verhindern
will, nach Horst Köhler ein zweites Mal einen Bundespräsident zu verlieren, den sie ausgesucht hat. Hinzu kommt, dass die schwarz-gelbe
Mehrheit in der Bundesversammlung so dünn ist, dass Merkel sich bei
der nächsten Präsidentenwahl mit SPD und Grünen ins Benehmen
setzen müsste, um einen Konsens-Kandidaten zu finden.
Das Kanzleramt setzt von Anfang an auf eine doppelte Botschaft:
klare Unterstützung für Wulff, aber immer verbunden mit der For derung nach Aufklärung der Vorwürfe. Im Laufe der Wochen verfolgt man die Entwicklung rund um den Bundespräsidenten allerdings mit wachsender Fassungslosigkeit. Man kann sich lebhaft vorstellen, dass die Einzelheiten über Wulffs private finanzielle Situation
in Hannover und seine Urlaubsaufenthalte bei befreundeten Unternehmern, die im Zuge der Krise bekannt werden, bei der bodenständigen Angela Merkel Befremden hervorrufen. Merkel wohnt in einer
Berliner Altbau-Etagenwohnung, wenn auch in allerbester Lage, und
ist eher bescheiden bei der Wahl ihrer Feriendomizile und Urlaubsziele. Auch Wulffs Krisenmanagement ruft im Kanzleramt Kopfschütteln
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