Der Briefwechsel
16 h im »Öst. Hof«, fahren irgendwohin, wandern, und abends essen wir in Fuschl, mit Marie, wenn Du, wenn sie will.
Ich bin wieder in Überlingen und faste. Fasten ist Ernährung von innen, und dies in jeder Hinsicht. Ich fühle mich leicht, kann auch leicht meiner selbst inne sein. Im See schwimmt es sich herrlich, besonders um Mitternacht. Gelegentlich dringen schwarze oder blonde Paradiesvögel in den Garten meiner Ruhe.
Dir liebe Grüße, bis bald
Dein
Siegfried
515 [411; handschriftlich; Ansichtskarte: »Bayonne« 1 ]
6. August 1986
Lieber Siegfried,
so muß ich mich für Deine freundlichen Schwimmerzeilen vom Bodensee bedanken. Ich habe im Atlantik weniger geschwommen, als mich von den Brechern mit einem seltsamen Vergnügen über den groben Sand unter Wasser schleifen lassen. – In einer schöpferischen Phase, wie Du schriebst, fühle ich mich nicht, oder eben so wie immer. Ich habe die paar Sachen halt aufgeschrieben, weil es »jetzt oder nie« war. Bis Salzburg und Fuschl. 2
Dein P.
1
P. H. unternahm zwischen dem 17. Juli 1986 und dem 8. August 1986 eine Reise durch Frankreich.
2
Am 10. August 1986 hatte um 10.30 Uhr Prometheus gefesselt in der Felsenreitschule während der Salzburger Festspiele mit der Übersetzung von P. H. Premiere. Inszenierung: Klaus Michael Grüber, Bruno Ganz: Prometheus, Angela Winkler: Io, Udo Samel: Hermes. S. U. hielt sich vom 10.-19. August 1986 in Salzburg und Umgebung auf; für die Chronik diktierte er: »Ich war kurz im Café Winkler bei der Premierenfeier. Ich setzte mich auf die Terrasse, Peter Handke kam zu mir, und ich übergab ihm sein Buch: ›Die Wiederholung‹. [Siehe die Abbildung auf dem Umschlag dieses Bandes] Er wollte es 14 Tage vor der Auslieferung haben, 14 Tage allein. […] Übrigens ist der Umschlag doch sehr schön geworden. Einfach, doch tiefgehend, ein Umschlag, um darüber nachzudenken. […] Handke und ich hatten zwei gute Gespräche, freilich waren die Gespräche belastet: Peter Handke war ›unschlüssig‹. Er hatte nach der ›Wiederholung‹ und nach dem großen ›Gedicht an die Dauer‹, einer poetischen Befragung ›Was Dauer ist‹ – eine kleine Geschichte – angefangen. Sie sollte ursprünglich 20-30 Seiten Umfang haben, und diesen Text hatte er Schaffler für den Residenz Verlag versprochen. Jetzt aber ist dieser Text doch zu einer Erzählung gewachsen mit 60 Seiten, und es ist ein richtiges Buch [ Nachmittag eines Schriftstellers ]. Er sei ›unschlüssig‹, aber
516 ich weiß schon, was das für ihn bedeutet: er wollte in meiner Anwesenheit keine Entscheidung gegen mich treffen.«
[412; handschriftlich auf Papier des Hotels Schloß Fuschl; Anschrift: ]
Hof bei Salzburg
17. August [1986] 1
Lieber Peter,
ich danke Dir noch einmal für die Gespräche, für das Zusammensein. Ich las noch einmal Deine große Übertragung, dieses große Epos, in dem Einsicht und Menschlichkeit über der Gewalt stehen, das Dienen über dem Herrschen. Ich las, mit dem Blick über den See, Deine Befragung, »was Dauer ist«, las Deine Sicherheit, daß »das Gute am Ende doch siegen wird.«
Solches denkend, solches lesend, über den See blickend, sein samtenes Wasser empfindend, spüre ich, »als befreiendes Zitat«, Dankbarkeit.
Die schönen Tage von Fuschl sind vorüber, bald wird mich mein Alltag wiederhaben, und auch Du wirst aus Deiner »Zeit an dem Griffener See« zurückgekehrt sein. Du wirst verstehen, daß mich das umtreibt, was in Dir »unschlüssig« ist. Ich will Dich nicht bedrängen, nur bitten, mich zu verstehen. Dein Gedicht lesend, über den See blickend, einen Welschriesling Kabinett vom Neusiedlersee genießend, denke auch ich an die Dauer unserer Beziehung, die ich mir so sehr wünsche. Wie die Jahresringe des Baumes soll Dein Werk im Suhrkamp Verlag wachsen. Es wird leichter dauern in der Sammlung. Ich denke an unser erstes Wiener Treffen und an meinen Flug nach Frankfurt, Dein Manuskript lesend. Ich bin glücklich, Dein Verleger sein zu dürfen, gönne es mir weiterhin.
517 Verzeih die Entlehnung des wichtigsten Satzes und seine Änderung: mir aber liegt an dem Buch mehr als an allem.
Realisiere Deine Idee einer Weltreise: am entferntesten Ort (z. B. Hawaii) möchte ich Dich dann treffen, den Welschriesling bringe ich dann mit.
Sehr herzlich
Dein Siegfried
1
Der Brief trägt den handschriftlichen Vermerk von S. U.: »nie direkt beantwortet, jedoch entschieden mit Brief v. 4. 11. 86
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