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Der Courier des Czar

Der Courier des Czar

Titel: Der Courier des Czar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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das Thermometer bis unter Null Auf der Oberfläche des Baikal bildeten sich schon schwache Eisschollen. Fand das Floß auch auf dem See keine besonderen Schwierigkeiten, so drohte sich das doch zwischen den Ufern der Angara mißlicher zu gestalten, wenn sich die Schollen dort in dem engeren Fahrwasser anhäuften.
    Alle Umstände drängten also darauf hin daß die Flüchtlinge bald möglichst abreisten.
    Um acht Uhr Abends löste man die Seile und von der Strömung geführt, folgte das Floß dem Ufer des Sees. Einige lange, von mehreren Mujiks regierte Stangen reichten hin, dasselbe in bestimmter Richtung zu halten.
    Ein alter Schiffer vom Baikal hatte das Commando übernommen. Es war ein Mann von sechzig Jahren, mit wettergebräuntem Gesicht. Ein dichter weißer Bart fiel auf seine Brust herab. Eine Pelzmütze trug er auf dem Kopfe und zeigte im Ganzen ein ernstes und strenges Aussehen. Der lange, durch einen Gürtel zusammengehaltene Ueberrock reichte ihm bis zu den Füßen. Schweigend saß er auf dem Hintertheile und ertheilte seine Weisungen durch Gesten, ohne binnen zehn Stunden zehn Worte zu sprechen. Uebrigens reducirten sich die ganzen Schiffsmanöver darauf, das Floß in der Strömung zu erhalten, welche dem Ufer folgte, und es an einer Abweichung nach der offenen See zu hindern.
    Wir erwähnten schon, daß Russen der verschiedensten Art auf dem Flosse Platz gefunden hatten. Neben Landleuten aus der Umgegend, einer Anzahl Männer, Frauen und Kinder, fanden sich zwei oder drei von dem feindlichen Einfalle auf der Reise überraschte Pilger, einige Mönche und ein Pope. Die Pilger trugen den Reisestab, die Kürbisflasche im Gürtel und fangen mit klagender Stimme Psalmen. Der Eine kam aus der Ukraine, der Andere vom Todten Meere, ein Dritter aus den finnischen Provinzen. Der Letztere, ein schon bejahrter Mann, trug am Gürtel eine kleine Sammelbüchse mit Vorlegeschloß, wie man sie an den Eingängen der Kirchen trifft. Alles, was er auf seiner langen und anstrengenden Reise einsammelte, gehörte nicht ihm, und er besaß nicht einmal den Schlüssel zu der Büchse, welche erst bei seiner Rückkehr geöffnet werden sollte.
    Die Mönche kamen aus dem hohen Norden. Vor drei Monaten schon hatten sie die Stadt Archangel verlassen, von der manche Reisende berichten, daß sie einen auffallend orientalischen Typus habe. Sie hatten die heiligen Inseln nahe der Küste Kareliens besucht, den Convent von Solowetsk, den von Trolisa, die des heiligen Antonius und des heiligen Theodosius in Kiew, der Lieblingsstadt der Jagellonen, das Kloster des Simeonof in Moskau, das von Kasan, sowie die dortige Kirche der Altgläubigen und begaben sich nun, bekleidet mit einer Kutte mit Capuchon aus Sarsche, endlich nach Irkutsk.
    Der Pope war ein einfacher Dorfpriester, einer der 600,000 Pastoren, welche das russische Reich zählt. Seine Kleidung sah erbärmlicher aus, als die der Mujiks, deren gesellschaftliche Stellung die seinige auch wirklich nicht überragte, da er in der Kirche weder Rang noch Macht besitzt, und sein Stück Land ebenso gut bebaut, wie er tauft, Ehen schließt und Beerdigungen leitet. Sein Weib und seine Kinder hatte er den Gewaltthaten der Tartaren dadurch zu entziehen gewußt, daß er sie nach den nördlichen Provinzen schaffte, während er in seiner Parochie bis zum letzten Augenblick aushielt. Dann hatte er jedenfalls fliehen müssen, und da die Straße nach Irkutsk versperrt war, den Baikalsee zu erreichen gesucht.
    Diese verschiedenen kirchlichen Personen saßen auf dem Vordertheil des Flosses zusammen, beteten in regelmäßigen Zwischenräumen, erhoben ihre Stimmen mitten in der schweigenden Nacht, und am Ende jedes Verses ihres Gebetes hörte man ihre Lippen ein »Slava Bogn«, das ist Ehre sei Gott, flüstern.
    Kein Zwischenfall unterbrach diese Wasserfahrt. Nadia lag noch immer in tiefer Erschöpfung. Michael Strogoff wachte neben ihr. Der Schlaf kam nur sehr selten in seine Augen und seine Gedanken wachten dabei immer.
    Bei Tagesanbruch befand sich das Boot in Folge eines steifen Gegenwindes, der die Wirkung der Strömung hemmte, noch vierzig Werft von dem Ausflusse der Angara. Voraussichtlich konnte es dieselbe vor drei oder vier Uhr Nachmittag nicht erreichen. Den Flüchtlingen kam das insofern zu statten, als sie den Fluß hinunter während der Nacht fuhren, deren Dunkel ihre Reise nach Irkutsk begünstigen mußte.
    Die einzige Besorgniß des alten Schiffers betraf nur die Bildung von Eisschollen auf dem

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