Der Dieb der Finsternis
überprüfen.
Michael konzentrierte sich wieder. Er hatte nicht vor, einfach aufzugeben.
Er schaute auf das Meisterwerk aus Mosaikfliesen, das über ihm die Wand zierte, stand auf und schlug ohne zu zögern mit seinem Meißel auf den Himmel ein. Die Kacheln mit den Engeln und Heiligen fielen herunter. Wo einst das Reich gewesen war, an dem die Sterne prangten, war jetzt nichts als karges Felsgestein und eine Einbuchtung, die mit Harz versiegelt war. Dahinter befand sich eine zweite Holzkiste.
Michael kniete vor der zweiten Kiste. Dieses Mal verschwendete er keine Zeit mit Tagträumerei und brach das Schloss gleich auf. Er hob den Deckel an und blickte ins Innere der Kiste. Dieses Mal war alles noch schlimmer. Er starrte auf Bücher und Schriftrollen und hob schließlich eine verschnörkelte Bibel heraus, die mit Akribie angefertigt worden war zu einer Zeit, als es noch keine Druckerpressen gegeben hatte. Der lederne Einband war mit Rubinen und Saphiren verziert, und die in Latein geschriebenen Seiten waren mit aufwendigen Illustrationen versehen. Da war ein exquisit verarbeiteter Koran mit eleganten arabischen Schriftzeichen und eine riesige Torah, die in Tuch gewickelt war und deren Rimonime aus purem Gold bestanden.
Als Michael auf die drei Gegenstände blickte, war er verwirrt. Er konnte nicht begreifen, warum man diese Heiligen Schriften versteckt hatte. Obwohl sie auserlesen und gewiss von großem Wert waren, waren sie längst nicht einzigartig. Und die Karte erschien auf den ersten Blick auch nicht weltbewegend, denn sie war zwar detailliert, schien aber kein großes Geheimnis zu enthalten.
Dann aber erinnerte er sich plötzlich wieder an KCs Worte. Karten. Landkarten. Die heiligen Bücher waren die Landkarten, die in den Himmel führten – die Karten, die einen Menschen, wenn er ihnen folgte, zur Erlösung und zum Ewigen Leben führten. So wie die Karte, die in der ersten Kiste gewesen war, zu irdischen Zielen führte, führten diese Karten zu einem Ziel in den Himmeln.
Plötzlich verstand Michael die Bedeutung des Kunstwerks an der Wand, die ehrfurchtsvolle Darstellung der Welten, die man fand, indem man den Wegweisern folgte, die unter ihr versteckt waren.
Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Ihn überkam ein Gefühl von Schmerz und Furcht, wie er es noch nie zuvor verspürt hatte. Es gab keinen Zweifel mehr, wo die westliche Hälfte der Karte des Piri Reis versteckt war.
Michael schaute auf die letzte Darstellung, auf die letzten Mosaikfliesen, die unter Himmel und Erde noch an der Wand zu sehen waren. Er sehnte sich zurück nach den Bildern, die er soeben zerstört hatte, wünschte sich, ihre Darstellungen könnten die Albträume verhindern, die ihn in den nächsten Monaten heimsuchen würden.
Denn jetzt blickte er schaudernd auf die Darstellung der Hölle.
25.
K C beobachtete die beiden Wachmänner, die nach genau zwanzig Minuten auf ihrem Rundgang wieder an ihr vorüberkamen, ohne sie zu bemerken. KC wartete ungefähr eine Minute und trat dann aus der Dunkelheit der Mauer der Hagia Sophia. Sie zog zwei kleine schwarze Kästchen aus der Tasche, legte sie neben den Hauptweg, drückte jeweils auf einen Knopf an der Oberseite und richtete die Kästchen dann so lange aus, bis sie einen hellen Ton vernahm, der bestätigte, dass der Laserstrahl einwandfrei arbeitete. Wieder drückte sie auf den Knopf. Stille trat ein und ließ erkennen, dass die unsichtbare Barriere aktiviert war.
KC rannte auf das runde Gebäude zu, in dem sich das Grabmal Selims II. befand, und platzierte etwa sieben Meter vor der Eingangstür ein zweites Paar Sensoren. Als sie die Kästchen drehte, hallte ihr wieder der Alarm in den Ohren, diesmal schriller, lauter und bedrohlicher. Das verschaffte ihr zwar nur ein paar Sekunden Luft, aber eine kurze Vorwarnung war immer noch besser als eine plötzliche böse Überraschung.
So alt das Gebäude auch war, das sich vor ihr auftat, das Schloss war modern. Obwohl es sich unter verwitterter grüner Patina verbarg, die den Eindruck erweckte, es sei uralt, war der innere Mechanismus des Caprice-Zylinderschlosses erstklassig. Es galt als absolut einbruchsicheres Schloss, das nicht zu knacken war, aber wie alles, was mit Sicherheitsvorkehrungen zu tun hatte, war auch dieses Schloss nicht unüberwindbar. KC ließ einen flachen verspiegelten Schlüssel in den schmalen Zylinder gleiten und drückte auf den Knopf dahinter, wodurch sie die Sensoren aktivierte, die nun ihrerseits die
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