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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Laserentriegelung betätigten. Der Schlüssel ließ sich leicht drehen, und mit einem dumpfen Geräusch öffnete sich das Schloss.
    Rasch huschte KC durch die Tür, schloss sie hinter sich und verriegelte auch das Schloss wieder. Sie legte die blaue Reisetasche und ihre Prada-Tasche auf den Boden, drehte sich um und sah sich mit großen Augen in dem aufwendig gestalteten Raum um. Mit wunderschönen Fliesen verziert, war er ein kunstvoller Tribut an einen Mann, dessen Leistungen neben denen seines Vaters, seines Großvaters und seines Großwesirs verblassten, für dessen Leistungen er sich oft hatte würdigen lassen, indem er behauptete, es wären seine eigenen. Doch war er ein Sultan gewesen, der Regent eines der größten Reiche der Welt. Und in diesem Raum wurde ihm Tribut gezollt.
    KC stand vor den Sarkophagen, die mit grünen Sargtüchern verhüllt waren. Insgesamt waren es vierundvierzig. Während der Gedanke an die sterblichen Überreste des Sultans und seiner Ehefrauen KC nicht störte – die kleinen, kindsgroßen Särge berührten sie tief. Kinder, Brüder, Schwestern und Söhne, die man ermordet hatte, damit sie gar nicht erst erwachsen wurden und Ansprüche auf den Thron anmeldeten. Mord im Namen der Stabilität des Reiches war im Mittelalter und in der Antike sehr viel üblicher gewesen, als irgendjemand zugeben wollte. Paranoia war normal gewesen unter Königen und Sultanen, Pharaonen und Kaisern; sie hatten alle ihr Leben mit wachsamem Auge auf diejenigen gelebt, die sie umgaben. Denn wenn man erst einmal an der Spitze war, ging es nicht mehr höher hinaus, nur noch ins Grab. Es gab keine Wahlen oder Amtsübergaben. Die Erbfolge bestimmte einzig und allein der Tod.
    Doch Selim II. war nicht durch die Hand seiner Söhne oder Brüder gefallen, ebenso wenig durch die Hand seiner Großwesire und Admiräle. Er war weder durch Gift gestorben noch durch ein Schwert oder einen Dolch. Er war einem Unfall zum Opfer gefallen: Seine Amtszeit als Sultan endete mit einem Sturz. Er erlag Verletzungen, die er in unwürdigem und volltrunkenem Zustand im Jahre 1572 in den königlichen Bädern erlitten hatte.
    Es dauerte vier Jahre, sein Grabmal zu errichten, eine scheinbar lange Zeit während einer Epoche, als ein König oder Sultan Tausende von Menschen dazu einteilen konnte, innerhalb von drei Jahren einen Palast zu bauen. Die Gruft war von dem großen Architekten Mimar Sinan konzipiert worden, der mehr als dreihundert der großartigsten Bauwerke des Osmanischen Reiches errichtet hatte, zu denen unter anderem der Harem des Topkapi-Palasts gehörte, die Selimiye-Moschee in Edirne und die Süleymaniye-Moschee in Istanbul. Er wurde neunundneunzig Jahre alt und war ein enger Freund des Großwesirs Mehmet Pasha. Sinan galt als einer der größten Architekten der Geschichte und wurde häufig mit Michelangelo verglichen.
    Die Leichname und Sarkophage wurden im Schutz der Dunkelheit in das Grabmal gebracht. Erst 1577 wurde das Mausoleum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
    KC zog das grüne Sargtuch herunter und schaute auf einen kunstvoll verzierten Sarkophag, der aus Stein und geschnitztem Zypressenholz gefertigt war. Auf dem Deckel befand sich eine Darstellung Selims II., auf der er einen großen Turban und königliche Gewänder trug und auf einem hohen Berg stand, während sein Königreich ihm zu Füßen lag und seine Untertanen vor ihm knieten, um ihm zu huldigen.
    KC umrundete den Sarkophag und betrachtete ihn, um sich ein endgültiges Bild zu machen. Er war wahrhaft für einen König gemacht. Er stand auf einem Granitfundament und war das Werk von Kunsthandwerkern, die sich wahrscheinlich monatelang damit geplagt hatten. Neugieriger geworden, zog KC das grüne Sargtuch von dem Sarkophag, der gleich links neben dem des Sultans stand und in dem seine erste Ehefrau Nur Bana ruhte, die acht Jahre nach ihrem Ehemann gestorben war. Er war sehr viel schlichter aus geschnitztem Zypressenholz gefertigt. Den oberen Teil des Deckels zierte ein Bild, das den Sultan zeigte, sowie ein Bild des Topkapi-Palasts und der Hagia Sophia.
    Nur Bana war als Cecillia Venier Baffo zur Welt gekommen, eine junge venezianische Adelige, die von den Osmanen gefangen genommen worden war. Ihr Sohn Murad III. bestieg nach dem Tod seines Vaters den Thron; dadurch bekam sie als Valide Sultan, als Mutter des Königs, immer größere Macht. Acht Jahre lang führte sie zusammen mit Großwesir Mehmet Pasha die Regierungsgeschäfte, um eines Tages unter

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