Der Dieb der Finsternis
mysteriösen Umständen ums Leben zu kommen. KC lächelte bei der Vorstellung, dass eine Frau eine Welt regiert hatte, in der man die Rechte der Frauen unterdrückt hatte.
Sie rieb mit der Hand behutsam über den Deckel und über die exquisite Schnitzarbeit, die man einer Ehefrau hatte zuteil werden lassen, die wusste, dass sie nur eine von vielen Frauen ihres Mannes war. Ihr fielen die schlichten Scharniere auf, mit denen der Deckel am Sarg befestigt war, und sie fragte sich, warum man die Särge damals so gebaut hatte, dass man sie öffnen konnte. Schließlich legte KC das Tuch wieder über den Sarg der Frau und wandte sich noch einmal dem Sarkophag von Selim II. zu. Der hatte keine Scharniere, keinen Griff, an dem man ihn einfach hätte öffnen können. KC hätte sich gewünscht, den Deckel einfach hochheben, sich den Stab schnappen und wieder verschwinden zu können.
Der Deckel wog mindestens eine halbe Tonne. Da er aus massivem Stein gefertigt war, bedurfte es einer ganzen Mannschaft von Männern mit geschickten Fingern und Handwerkszeugen, um ihn zu öffnen.
KC lächelte. Michael besaß tatsächlich ein außerordentliches Talent, Sicherheitsvorkehrungen zu umlaufen, die schwierigsten Hindernisse zu überwinden und in die unmöglichsten Orte einzubrechen. Sie hatte sich nie auf Verbrechen eingelassen, bei denen es größere Hindernisse gab, sodass das körperliche Risiko nicht mit Erfindungsreichtum auszuschalten war, oder das Ganze Abgänge erforderlich machte, bei denen halsbrecherische Akrobatik vonnöten war. Aber Michael war ein Typ, der gern das Unmögliche versuchte.
KC griff in die blaue Reisetasche und zog die Aluminiumteile heraus. Sie befestigte den stabilisierenden Rahmen am Rückenteil des Sarkophages, ließ den dünnen Fuß unter den eigentlichen Sarg gleiten und hob dann die Abstützung hinter dem Rückenteil hoch und auf das Vorderteil. Sie drückte einen dünnen Keil gegen den Rand des Deckels und klopfte ganz vorsichtig, doch es schallte so laut wie ein Presslufthammer, als das dünne Stahlteilchen in die Vernahtung des Deckels glitt. KC presste die Rahmenstange gegen den Keil und machte beides aneinander fest. Michaels Konstruktion war einfach, ließ sich leicht zusammensetzen und noch leichter auseinandernehmen. Hergestellt hatte Michael das Ganze aus verstärkten Aluminiumteilen, wie man sie für Flugzeugtragflächen und Kupferrohre benutzte; im Grunde handelte es sich dabei um einen tragbaren Flaschenzug, der wahrscheinlich in der Lage war, sogar einen LKW zu heben, trotzdem aber in eine kleine Reisetasche passte. Der Fuß des Bausatzes wurde vom Gewicht des Sarkophags auf dem Boden festgehalten, während der Hebelarm wegen des allgemeinen Drucks fest in Position blieb. Das Gerät war so simpel wie ein Wagenheber.
KC wiederholte den Prozess an den drei verbleibenden Seiten des Sarkophags. Dann zog sie die hydraulischen Röhren aus der Tasche, befestigte sie und schloss den kleinen Luftzylinder an. Sie umfasste den Zylinder ganz fest und begann zu pumpen. Nach einem Augenblick brach die Versiegelung des Sargdeckels mit einem keuchenden Laut, der sich anhörte, als hätte die Geschichte selbst tief durchgeatmet. Der Deckel hob sich zuerst nur langsam, und das uralte Holz und Gestein gab protestierende Quietschlaute von sich. Millimeterweise hob sich der Deckel.
KCs Muskeln wurden rasch müde, doch sie pumpte immer weiter. Der Deckel war nun etwa zwölf Zentimeter weit geöffnet. Da sie der Versuchung nicht widerstehen konnte, schaltete sie ihre Taschenlampe ein und spähte hinein.
Was sie sah, erfüllte sie mit nackter Panik. Es war ganz und gar nicht das, was sie und Michael erwartet hatten. Schlagartig erfasste sie Todesangst um ihre Schwester, denn auf das, was sie vor sich sah, war sie kein bisschen vorbereitet.
Dann meldete sich plötzlich der Alarm. Die Laserschranke auf dem Bürgersteig war durchbrochen worden. Es kam jemand!
KC legte den Hebel für die Entriegelung um. Mit einem lauten Fauchen der Druckluftklappen schloss sich der Deckel des Sarkophags wieder. KC fasste nach den vier Streben, warf sie in ihre Tasche, drapierte das grüne Sargtuch dann wieder über dem Sarkophag und strich es glatt.
Der zweite Alarm schrillte ihr ins Ohr. Die Wachmänner waren auf dem Gehweg und kamen näher.
KC drehte sich um die eigene Achse und suchte überall. Schließlich fiel ihr Blick auf den Sarg der Ehefrau des Sultans. Sie klappte das grüne Tuch zurück. Ohne nachzudenken, rammte
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