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Der Dieb der Finsternis

Der Dieb der Finsternis

Titel: Der Dieb der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Doetsch
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Wachmänner Streife gingen und die Menschenmenge aufmerksam im Auge behielten. Doch KC wusste, dass es zu einem guten Teil Show war, weil diese Männer sich auf die Gewissenhaftigkeit ihrer Kollegen am Haupteingang verließen. Außerdem waren die Leute, die heute Abend hier zu Gast waren, weder Volksverhetzer noch Terroristen.
    KC eilte nach links, hinein in die Dunkelheit, und nahm den gleichen Weg, den sie und Michael am Abend zuvor genommen hatten, sodass er ihr vertraut war. Die Schatten waren lang und wirkten durch die Fackeln, die neben dem Gehweg brannten, noch dunkler. KC ließ ihre Blicke unablässig schweifen, behielt das Partygeschehen und die Wachmänner im Auge und tat, was sie konnte, um nicht aufzufallen. Endlich erreichte sie die dunkle Ecke, an der die zehn Meter hohe Mauer, die den eigentlichen Topkapi-Palast umgab, an das Archäologische Museum grenzte. In Windeseile entledigte KC sich ihrer unpraktischen Absatzschuhe, steckte sie in ihre Tasche, nahm ihre flachen Ballerinas heraus und zog sie an.
    Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wo Michael war, aber Iblis befand sich hier irgendwo, und es gab nur wenige Menschen, die ihn besser kannten als KC. Sie kannte seinen durchtriebenen, brillanten Verstand, wusste um die tödlichen Methoden, derer er sich bediente, um zum Erfolg zu kommen. Er war irgendwo hier im Topkapi-Palast und konnte jederzeit mit Michael zusammenprallen – zwei Diebe mit zwei grundverschiedenen Vorgehensweisen: Der eine war darauf aus, mit allen Mitteln zu vermeiden, dass andere zu Schaden kamen; der andere war bereit, allem und jedem Schaden zuzufügen, um zu bekommen, was er wollte.
    KC hatte sich von der Sorge um ihre Schwester und von der Angst um Simon so sehr vereinnahmen lassen, dass sie ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse verdrängt hatte, doch als sie gehört hatte, dass Michael möglicherweise in Gefahr war, hatte sich ihr Herz lautstark zu Wort gemeldet. Sie konnte nicht zulassen, dass ihm etwas passierte; er hatte selbstlos gehandelt, als er sie gerettet hatte, und keine Sekunde gezögert, ihr dabei zu helfen, Gesetze zu brechen, um ihre Schwester zu retten. Und das trotz der Gefahren und Risiken, die nicht nur die Möglichkeit bargen, geschnappt zu werden und im Gefängnis zu enden oder gar zu sterben. KC wurde bewusst, dass sie nicht länger mehr leugnen konnte, was sie für Michael empfand.
    Zum Teufel mit dem Risiko, sagte sie sich, hängte sich die Tragegurte der Transportrolle und ihrer Handtasche über Kopf und Schulter, grub ihre Finger in die Mörtelfugen und begann, die Mauer hinaufzuklettern.
***
    Michael kam aus der Kapelle, kroch durch das knapp einen Meter breite Loch und leuchtete mit der Taschenlampe durch die Zisterne, deren Stille durch das Plätschern der Wassertropfen, die von der Decke fielen, nur noch eindringlicher wirkte. So vieles von der Welt existierte nur im Verborgenen, so vieles davon befand sich nur Schritte entfernt von einer ahnungslosen Gesellschaft. Und das war nicht nur in Istanbul so, sondern auch in Rom, Moskau, Shanghai und an der Westküste der USA. Vieles war gnädigerweise für alle Zeiten verloren; hätte die moderne Welt sämtliche Geheimnisse der Vergangenheit entdeckt, wären unbekannte Kräfte entfesselt worden.
    Als Michael noch einmal zurückblickte auf das Loch in der Wand, das in die versteckte Kapelle führte, wusste er, dass er etwas ans Licht gefördert hatte, das hatte versteckt bleiben sollen. Es gab nichts, womit sich der Fund hätte verschleiern lassen; nichts konnte darüber hinwegtäuschen, das hier unlängst zerstört und gestohlen worden war. Es schmerzte Michael körperlich und seelisch, dass er sich an grandiosen Kunstwerken vergriffen und sie in Schutt und Asche gelegt hatte. Doch im Leben gab es Dinge, die wichtiger waren.
    Zweimal überprüfte Michael die luftdichte Versiegelung der Transportrolle, in der die Karte steckte; dann sprang er zurück in die anderthalb Meter tiefe Zisterne. Das Wasser war so kalt, dass es ihn mit Schockwirkung in die Realität zurückholte. Er hielt die Taschenlampe über den Kopf erhoben und watete auf die erste Wand zu, wobei der Lärm, den er dabei verursachte, von den Felsen widerhallte.
    Als er die Wand erreichte, die ihn dem Ausgang einen Schritt näher brachte, holte er tief Luft und tauchte unter Wasser, schwamm durch das anderthalb Meter breite Rohr und tauchte im Hauptbereich der Zisterne wieder auf. Als er durch die Wasseroberfläche stieß, blitzte das

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