Der dreizehnte Apostel
mit dir. Da sieht man, wie wenig du weißt.)
Mein Vater, Patrick O’Hanrahan senior, arbeitete in den Viehhöfen, wo er Transporte be-und entlud. Trotz eines ordentlichen Gewerkschaftslohns waren wir immer arm. Er verlieh Geld an Verwandte und Kneipenbekanntschaften, und ebenso bedenkenlos lieh er sich selbst Geld von Kredithaien. Meine Mutter versetzte Erbstück um Erbstück, alles Plunder natürlich, irischer kitschiger Schund aus der glücklichen alten Heimat. Als sein Sohn bekam ich entweder zu hören: »Ah, du wirst nicht dein Leben lang schuften müssen wie ein Sklave, so wie dein alter Scheißkerl von Vater, nicht, solange ich lebe …« Oder im Gegenteil: »Da arbeiten, wo ich arbeite, würd’ dir auch nix schaden, oder bist du dir zu fein für uns Arbeiter?« Ich konnte nie gewinnen.
Ein gutes Zeugnis? Dann hieß es: »Du hältst dich wohl für so gescheit, was? Gescheiter als dein Alter? Na, ich kann dir noch’n paar Sachen beibringen …« Zu Hause bekamen weder ich noch meine Mutter oder meine Geschwister je einen Beweis, daß er uns
liebte, es gibt also kaum etwas, weshalb ich mich schuldig fühlen sollte.
(Warum tust du es dann?)
Gott, wie habe ich Familienfeiern gefürchtet, Hochzeiten und Beerdigungen. Es gab nie eine Hochzeit ohne seine sämtlichen Geschwister, drei Schwestern und vier Brüder, die sich gegenseitig anrempelten, sich betranken und irische Lieder plärrten, bis die Bedienungen im Gewerkschaftslokal sie aufforderten zu gehen, und jedesmal gab es eine Rauferei. Irgendjemand sagte etwas unbeschreiblich Belangloses, und dann stand mein Vater schwankend, betrunken auf: »Wenn du das sagst … wenn du das noch mal sagst, dann bei Gott und allen Heiligen, ich schwör’s beim allmächtigen Christus …«
An diesem Punkt versuchte meine Mutter ihn immer zurückzuhalten, bat ihn, sich hinzusetzen, sich zu beruhigen, einen Kaffee zu trinken. Bestimmt war es Zeit, nach Hause zu gehen …
»Bei Gott, ein Bruder von mir sagt so was … was er grade gesagt hat …« Selbst in diesem Augenblick hätte mein Vater nie und nimmer erklären können, was eigentlich gesagt worden war. Es war lediglich eine Gelegenheit, sich selbst brüllen zu hören und männlich zu sein, ein nichtsnutziger Scheißire, ein blöder bescheuerter irischer Kathole … Ich gebe es zu, ohne Widerspruch: Ich habe mich gründlich für ihn geschämt. Und Beerdigungen. Allmächtiger Herr Jesus, bei Beerdigungen – wie in einem drittklassigen irischen Sketch – weinten sie in der einen Minute und gossen sich in der nächsten einen hinter die Binde, dann schubsten sie einander auf dem Parkplatz herum, gaben einander die Schuld am Tod des Verstorbenen, untersagten sich gegenseitig, je wieder einen Fuß in ihre Häuser zu setzen, schworen bei jedem Heiligen, sie seien nicht länger Brüder/Schwestern/Schwäger, sie seien gestorben füreinander! So tot wie derjenige, dessen Begräbnis sie soeben ruiniert hatten! Wie bin ich immer zurückge rannt zum Auto – ja, damals hatten wir noch ein Auto –, habe mich eingeschlossen, den Kopf im Rücksitz vergraben und das alles ausgesperrt, diese ganze emotionale Gewalt, dieses betrunkene irische Sich-inSzene-Setzen, das ich nicht verstand.
Dieses Leben, wie ein schlechtes, minderwertiges Werk von Eugene O’Neill, zu unglaubwürdig, um je auf die Bühne gebracht zu werden, lag drohend als mein Schicksal vor mir. Zu ertrinken in diesem Meer von unvernünftiger irischer Gefühlsduselei … Sich fünf Jamesons hinter die Binde kippen, dann einen Stock packen und mit Grady O’Connell, Tom Kelly und Jacky Doyle zu den Lagerhöfen gehen, um den Schlägern, die die Geschäftsleitung angeheuert hatte, die Köpfe einzuhauen; meine Mutter, die Vater anflehte und schluchzte, er solle nicht gehen und sich nicht zusammenschlagen lassen – was dann natürlich passierte … Nicht einmal meine Mutter sah das so klar wie ich. Ihre Lösung bestand darin, daß ich Priester werden, mein Augenmerk auf eine höhere Berufung, ein besseres Leben richten sollte.
(Weil du Gott einmal geliebt hast.)
Halte dir nicht zuviel darauf zugute – stärker als du war der Wunsch, der South Side zu entkommen. Ich sah eine Welt, in der Menschen lasen und dachten; wo es ruhig war und sauber und wo es gutes Essen gab. Für jemanden wie mich war es das einzige, was er tun konnte.
(Aber du hast vergessen, daß du Gutes tun wolltest, daß du um eine Mission gebetet hast, die anderen helfen, sie erheben würde. Hast du
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