Der dreizehnte Apostel

wirklich alles ausgelöscht, was Wir dir einmal bedeutet haben?)
    Ich stöhne, wenn ich mich selbst sehe, wie ich war: wie fromm, wie blass , schwach und still. Meine Mutter dachte, das sei Religiosität, und war getröstet; mein Vater dachte, es sei unmännlich, aber wenn schon einer von seinen Söhnen Priester werden muss
    te, konnte es genauso gut ich sein … Und ich dachte, Priester zu werden sei die Antwort, bis ich feststellte, daß auch das eine Falle war, dieselbe irische Konspiration, aufgeputzt mit ein bisschen Weihrauch. Meine Schwester Catherine und ich gingen immer zusammen zur Schule.
    Mal überlegen, ich war zwölf oder so, sie war rechthaberische vierzehn. Und sie führte uns dann abseits von unserem normalen Weg an der staatlichen Schule vorbei, wo wir hineinsahen zu den anderen Kindern, den Protestanten. Meine Schwester lehnte sich dann über den Zaun und schrie ihnen Beleidigungen zu. Ich mahnte sie, unsere Mutter habe gesagt, wir sollten nichts mit ihnen zu tun haben und uns vor allem nicht über sie lustig machen. Weißt du, warum Mutter das gesagt hat? fragte Catherine. Weil sie Protestanten sind und in die Hölle kommen. Und ich sah hinein und sah die Jungen, die auf dem As phaltboden Baseball spielten, und dachte angstvoll über einen Gott nach, der diese lachenden Buben in die Hölle schicken würde.
    (Du hast an jenem Abend deswegen eine Stunde lang gebetet.)
    Und dann kam die Zeit, als die Pfarrei unsere schlechte, personell unterbesetzte Pfarrschule Schloss
    und man uns sagte, wir müssten von unserem Viertel aus mehrere Meilen gehen, wenn wir auf einer katholischen Schule bleiben wollten. Daher befahl mein Vater nach einem fürchterlichen Streit mit meiner Mutter, wir sollten auf die staatliche Schule gehen, die er schließlich mit seinen Steuern schon bezahlt habe. Und wir müssten eine Aufnahmeprüfung machen, in welche Klasse wir kommen sollten. In meinen Augen brannten Tränen, und ich spürte eine große Wut. Denn wo waren die Fragen, wer die Königin des Himmels sei und wer bei ihrer Krönung zugegen war? Wo waren die großen Heiligen, Christophorus und Georg, was war mit den Freudenreichen Geheimnissen, den vier Erzengeln, dem Vaterunser auf Latein ? Nichts von dem wollten sie wissen, sie wollten die ersten acht US-Präsidenten genannt bekommen; ich sollte Tiere in ihre jeweilige Unterabteilung in der Systematik des Tierreichs einordnen und Longfellow und Poe ihren berühmten Gedichttiteln zuordnen. Eingebrannt in mein Herz sind die Worte der Frau, die meinen Test entgegennahm und kopfschüttelnd zu ihrer Kollegin sagte: »Schon wieder ein Genius Unserer Lieben Frau.« Und ich wurde eine Klasse zurückgestuft.
    (Und fünfzig Jahre später ärgerst du dich immer noch darüber.)
    Patrick Virgil O’Hanrahan, Klassenbester, seit er zur Schule gekommen war – eine Klasse zurückgestuft! Ja, ich schmecke die Galle immer noch. Ich musste aufholen, und das machte mich verärgert und verbittert und auf Konkurrenz bedacht … bevor es langsam, ganz langsam in mich eindrang, bevor ich ganz langsam darauf kam , daß jeder Katholik an der Kelly High-School im Jahre 1935 eben ein dummes, rückständiges, irisches Katholenkind war.
    Und deshalb würde es für mich keine Pfarrei geben, keine lausige, heruntergekommene, jammernde Diözese zur Betreuung, keine alten Weiber, die ihre Familienzwistigkeiten abreagierten, keine endlos langen Beichten von jungen Frauen wie meiner Schwester Catherine, mit Mühe ausgegraben aus einem verkümmerten, saftlosen Leben … Nein, Plan C: Ich würde auf die Loyola-Universität gehen. Ich würde zur jesuitischen Elite gehören. Ich würde andere Kontinente bereisen, egal wo auf der Welt sein, um zu tun, was der Papst will, wenn es sein muss – überallhin, bloß nicht auf der South Side bleiben!
    (Seit wann hattest du den Papst im Kopf?)
    Ich habe Spaß gemacht. Mir lag nichts daran, Roms Sache zu unterstützen – ganz und gar nicht, ich wäre beinahe aus der katholischen Kirche ausgetreten,
    nachdem Pius XII. während des Zweiten Weltkriegs den Nazis in den Arsch gekrochen ist. Und ich hatte auch nicht den Wunsch, gegen die protestantische Irrlehre zu kämpfen, weil in meinem Freundeskreis bald mehr Protestanten als Katholiken waren – Protestanten hatten zumindest ein wenig Sinn für Fortschritt! Religion hatte wenig damit zu tun, daß ich Jesuit sein wollte. Ich suchte nach dem Gütestempel, den Jesuitsein bedeutete: Ich wollte der Welt zurufen, daß ich