Der dreizehnte Apostel
Mohammed verlor den Mut, Moses war ungehorsam, die Könige Israels vergaßen Uns ganz. Glaubst du nicht, daß Wir auch manchmal daran zweifeln, ob es einen Wert hat, die ganze Sache am Laufen zu halten? Wo es Bewusstsein gibt, göttliches oder menschliches, da ist auch Zweifel. Durch den Zweifel wissen Wir, daß Wir glauben, aber auch, daß Wir überhaupt denken, daß Wir nicht aus unbelebtem, zufriedenem Stein sind. Wenn die Menschheit nur wüsste , wie der Schöpfer ihre Zweifel und ihre Mutlosigkeit teilt!)
Unvergeßliche Bilder stiegen wieder in ihm auf. Der spanische Junge, in Stücke gerissen, das eine Auge eine einzige Wunde, ein guter Katholik aus New Mexico, der ihn um ein Heilmittel anflehte – ein Wunder, alles ist möglich, nicht wahr, Kaplan? Ich glaube in meinem Herzen daran, wenn Sie mir die Hand auflegen … Und Patrick hatte ihm die Bitte erfüllt, während der Junge schrie und sich wand, um in der nächsten Stunde aus dieser Welt zu scheiden, überzeugt davon, daß sein Schmerz seine Erlösung bedeutete. Unauslöschlich war dieses Bild. Fast so unvergesslich wie der lachende Junge, wie O’Hanrahan ihn in der Erinnerung hatte. Dieser junge Bursche war so erleichtert, daß er noch lebte; eine halbe Stunde lang redete er darüber, was er tun werde, wenn er erst wieder zurück in den Staaten sei, er zeigte Fotos und machte Witze darüber, daß seine Verwundung, eine Beinwunde, seine Heimfahrkarte aus diesem gottverdammten 38. Breitengrad sei. Als O’Hanrahan, nun selbst lachend, mit Kaffee für sie beide zurückkam, sah der Soldat offenbar beunruhigt zu ihm auf und sagte: » Irgendetwas ist komisch, Pater.« Und während O’Hanrahan sich wieder setzte und kleine Zuckertütchen aufriss , starb der Junge. Einfach so. Und O’Hanrahan redete noch eine gute Minute lang weiter, bevor er es bemerkte. Er war so müde von der ganzen Anspannung …
Aber es war der Tod in seiner stillen Gründlichkeit! Sterben kann tatsächlich sein wie Einschlafen: im einen Augenblick noch da, im nächsten schon tot. Und kein Himmel , der zerreißt , kein Donnerschlag.
(Ein solcher Tod ist eine Gnade, glaubst du nicht?)
O’Hanrahan wischte sich den Schweiß von der Stirn und kratzte sich am Kopf. Deshalb bin ich also hierhergebracht worden, damit ich mein Leben an mir vorüberziehen lasse? Ein kleines Vergnügen des Allmächtigen, so wie Hiobs Aussatz, wie Jonahs kleines Mißgeschick mit dem Leviathan – wer Ohren hat, der höre. Wenn du den brennenden Busch siehst, dann renn davon! Wende dich ab, um deines Lebens willen! Fort mit dir, Jahwe!
(Hat Dir Unsere kleine Weile in der Wildnis nicht gefallen?)
»Du weißt nicht, wann Du endlich Ruhe geben sollst, nicht wahr?« O’Hanrahan schrie laut um Lin derung, schrie aus Erschöpfung und weil er nicht die Energie hatte, irgendetwas zu zertrümmern. Er packte einen Stein und schleuderte ihn in die Höhe, gegen den Himmel, so fest er konnte, und lachte dabei hysterisch über sich selbst. Ich weiß, was ihre Dreckskerle wollt! Mich demütigen, mich in die Knie zwingen! Du willst, daß ich darum bete, aus diesem Schlamassel herauszukommen! Du kannst mich verhöhnen mit all den Stimmen, all den Erinnerungen, die Du auf Lager hast, weil hier ein Mann ist, der Dich gekannt und sich abgewandt hat, der Deine Allmacht für Prahlerei hält, Deine Allwissenheit für zweifelhaft, Deine Heiligkeit für geschmacklos.
(Na schön. Aber wie kommt es, daß du nie aufgehört hast, an Gott zu glauben? Die meisten Menschen, die ihren Glauben verlieren, sagen, daß es Uns nicht gebe. Du sagst eigenartigerweise, daß es Uns gibt, aber daß du Uns nicht magst. Finde dich damit ab, Mein Sohn: Wir sind Gott, und du bist ein Mensch, und du hast keine große Wahl.)
Ha! In der Talsenke entschied sich O’Hanrahan für den Pfad nach links und stapfte mit neuer Energie weiter. Lieber die Hölle mit den Libertins, den Trunkenbolden, den Freigeistern. Mittagessen mit den Renaissance Päpsten , Abendessen mit Mallatesta, später ein Bier mit Nietzsche und dann noch im Palast von Julian dem Abtrünnigen auf eine Riesenorgie vorbeischauen!
(Es gibt eine Hölle. Jede heilige Persönlichkeit, von der liberalsten bis zur strengsten, ob Jesus oder Mohammed, hat der Menschheit gesagt, daß es eine Hölle gibt, und immer noch finden Wir dieses törichte Hirngespinst, daß sie nicht existiere. Gut, sie entspricht nicht ganz der Vision Unseres geliebten Dante, aber sie ist keinesfalls angenehmer, das können
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