Der dreizehnte Apostel
Schau, egal, wie gemein ich zu ihm war, bin ich trotzdem noch bemitleidenswerter, weil ich seinen Tod ertragen muss , zumal alles so ungeklärt ist. Ich hoffe, er wusste …
( Wusste was?)
Wie sehr ich ihn geliebt habe.
(Du hast es ihm nie gesagt.)
Wie oft ich an ihn gedacht habe, als er nach Princeton gezogen war, um zu studieren, wie ich ihn vermisst habe …
(Er hat es nie gewusst .)
Wenn er nur … wenn er nur das leiseste Interesse an meinem Leben gezeigt hätte. Alle, die es hören wollten, habe ich mit obszönem Fakultätsklatsch, mit bizarren Heiligenleben, mit all den kindischen Dingen unterhalten, die ich amüsant finde, das Zeug, mit dem ich Lucy bombardiere … Es war ihm einfach egal. Er starrte mich über seinen halb leer gegessenen Teller an – Beatrice hat immer miserabel gekocht –, gelangweilt, brütend. Kann ich jetzt bitte aufstehen? fragte er. Ich war ihm anscheinend lästig. Es war eine Prüfung, mit mir am Tisch zu sitzen. Wenn ich etwas Lustiges sagte, verbiss er sich das Lachen, weil er mir nicht die Befriedigung gönnen wollte, ihn zu amüsieren. In gewisser Weise schämte er sich zutiefst für mich. Das Werk seiner Mutter. Jeden Abend wurde ich von ihnen verurteilt. Sie gingen zu allen Hochämtern, während ich mich weigerte und zu Hause blieb. Das ist es vielleicht: Rudy dachte, ich sei verdammt, unwiderruflich verloren.
(Die meisten Söhne halten ihre Väter für unwiderruflich verloren.)
Und schwul war er auch.
(So?)
Kandidat O’Hanrahan hat hundert Punkte! Schon
wieder O’Hanrahan der Verlierer! Gescheiterter Jesuit, gescheitert als Leiter eines Fachbereichs, gescheitert als Gelehrter, der etwas veröffentlicht – egal was, alles wird besudelt von Patrick O’Hanrahans magischer Berührung. Und wenn er ein Kind hat, muss es sich natürlich als Homo entpuppen.
(Dein Herz ist so weit entfernt von Nächstenliebe, Patrick.)
Verstehst du, seine Mutter hat ihn verweichlicht. Ich habe nichts gegen Schwule – wie sollte ich auch? Ich, der Hellenophile, der Gelehrte der antiken Mittelmeer Welt . Zur Hölle, die Hälfte der Priester, Mönche und Gelehrten, mit denen ich zu tun habe, sind in gewissem Sinn Frauenhasser, manche sogar durch und durch. Vielleicht hatte ich selbst vor einer Million Jahren ein unausgesprochenes Verlangen, damals, als ich mein Gelübde als Jesuitennovize abgelegt und mich für ein Leben unter Männern entschieden habe
– Mentoren und Studenten, eine kaum verschleierte Wiederholung des Liebhabers und seines Knaben aus den alten Zeiten. Christus hat nie etwas gegen Homosexualität gesagt, zu Christi Zeiten gab es nicht einmal ein Wort für Homosexualität. Welcher Idiot hat sich wohl das Wort einfallen lassen, das wir nun benutzen – griechische Vorsilbe und lateinische Wurzel. Ich habe in meinen Kursen tausendmal Vorlesungen über Toleranz gehalten. In den alten Zeiten war es natürlich, daß Männer Männer liebten, man denke nur an David und Jonathan – der Gedanke von Nähe unter Männern im Christentum, so wie Jesus und Johannes, den Jesus liebte, hat wahrscheinlich sogar zur Verbreitung des Christentums beigetragen.
(Hübsche Vorlesung. Rudy hätte sie genossen.)
Aber verstehst du? Ich bin kein bibelvernarrter, wiedergeborener Schwulenfresser. Ich bin gebildet, ich bin rational, ich bin … Aber ich bin trotzdem traurig darüber, daß mein Sohn schwul war. Es war eine weitere Trennung zwischen uns, etwas, das wir nicht gemeinsam haben konnten. Ich wette, er hat es
getan, um mir eins auszuwischen!
(Ein intelligenter Gedanke.)
Beatrice hätte es nicht überlebt, wenn ihr kleiner Rudy, ihr Verbündeter, der Zeuge ihres Martyriums – verzeih die etymologische Redundanz –, in den Bann einer anderen Frau geraten wäre. Schon als er noch klein war, sorgte sie also dafür, daß nie eine andere Frau einen Fuß in die Tür bekommen würde.
(Man kann niemanden schwul machen, Patrick.)
Und diese ganze Jugendfrömmigkeit, die damit verbunden war. Mit fünfzehn, als die anderen Jungen Sex hatten und Sport trieben – da flennte mein Sohn vor geschmacklosen Plastikkreuzen in der Kapelle, zusammen mit Beatrice und den anderen alten Damen, die in ihn vernarrt waren und ihn langsam zu der kleinen Schwuchtel formten, die er geworden ist. Er kannte all die alten Damen, ihre Namen und ihre Probleme …
(Zusammen mit allen anderen Arten von Menschen ist in der Kirche auch Platz für schwule Menschen. So wie es immer war und immer sein wird.)
Wie
Weitere Kostenlose Bücher