Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
Vom Netzwerk:
eine Flasche Guin­ness-Bier und ein Blasrohr vor Augen und würde Sie bit­ten, diese Gegenstände China, Irland und Borneo zuzu­ordnen, so hätten Sie sicher keine Probleme, die richtige Lösung zu finden. Für die Neandertaler hingegen liegen keine Hinweise auf das Vorhandensein solcher kulturel­len Unterschiede vor ; ihre Werkzeuge glichen sich weit­gehend, ob in Frankreich oder Rußland.
    Auch kultureller Fortschritt erscheint uns heute als Selbstverständlichkeit. Die Gegenstände, die man in ei­ner römischen Villa, einem mittelalterlichen Schloß und einem Münchner Appartement des Jahres 1990 antrifft, unterscheiden sich erheblich. Im Jahr 2000 werden mei­ne Söhne mit großen Augen auf den Rechenschieber blicken, den ich in den fünfziger Jahren noch benutzte, und fragen: »Papi, bist du wirklich schon so alt ?« Doch die Werkzeuge der Neandertaler zwischen der Zeit vor 100 000 und 40 000 Jahren sahen im wesentlichen gleich aus. Kurzum, ihre Werkzeuge unterschieden sich weder im Zeitablauf noch nach der geographischen Herkunft und ließen somit das typischste aller menschlichen We­senszüge vermissen : Innovation . Mit den Worten eines Archäologen hatten die Neandertaler »schöne, aber stu­pide hergestellte Werkzeuge«. Trotz der größeren Gehir­ne fehlte noch etwas Entscheidendes.
    Es dürften auch nur wenige Neandertaler Großeltern geworden sein. Die Skelettfunde machen deutlich, daß wohl keiner älter als 45 Jahre wurde und viele zwischen 30 und 40 starben. Man stelle sich nur vor, wie es um die Fähigkeit unserer Gesellschaft , Wissen anzusammeln und weiterzugeben, bestellt wäre, wenn wir nicht schrei­ben könnten und keiner älter als 45 Jahre würde !
    All diese Punkte, bei denen die Neandertaler als rück­ständig erscheinen, mußten erwähnt werden, ich möch­te aber auch auf drei besonders »menschliche« Aspek­te hinweisen. Erstens gab es in praktisch allen gut er­haltenen Neandertaler-Höhlen kleine Stellen mit Asche und Holzkohle, die auf einfache Feuerstellen hindeuten. Obgleich es sein kann, daß der Peking-Mensch bereits mehrere hunderttausend Jahre früher das Feuer benutz­te, waren die Neandertaler doch die ersten, die eindeu­tige Beweise für seinen regelmäßigen Gebrauch hinter­ließen. Sie waren vielleicht auch die ersten, die ihre To­ten stets begruben ; doch dies ist umstritten, und ob es auf eine Religion schließen läßt, ist reine Spekulation. Schließlich kümmerten sie sich gewohnheitsmäßig um ihre Kranken und Alten. Die meisten erhaltenen Ske­lette älterer Neandertaler tragen Zeichen schwerer Be­einträchtigung, zum Beispiel durch (zwar geheilte) Kno­chenbrüche, ausgefallene Zähne und schwere Gelenk­entzündungen. Nur die Fürsorge der Jüngeren kann es solchen Alten ermöglicht haben, trotz der Behinderung ein höheres Alter zu erreichen. Nach der langen Aufzäh­lung all dessen, was den Neandertalern fehlt, haben wir hier endlich etwas gefunden, das uns einen Funken gei­stiger Verwandtschaft mit diesen fremden Geschöpfen der letzten Eiszeit – die von fast menschlicher Gestalt, doch noch nicht von wirklich menschlichem Geist wa­ren – empfinden läßt.
    Gehörten die Neandertaler nun der gleichen Spezies an wie wir ? Ob diese Frage zu bejahen oder zu vernei­nen ist, hängt davon ab, ob wir ein gemeinsames Kind mit einem Neandertaler bzw. einer Neandertalerin hät­ten haben können. In Science­fiction-Romanen werden solche Situationen gerne ausgemalt. Der Umschlagtext entsprechender Bücher liest sich etwa so : »Eine Grup­pe von Forschern trifft auf einer Expedition ins schwär­zeste Afrika auf eine steile Schlucht. Dort begegnen sie einem Stamm unvorstellbar primitiver Menschen, die noch auf eine Weise leben, wie sie unsere steinzeitlichen Vorfahren schon vor Jahrtausenden aufgaben. Handelt es sich um Angehörige der gleichen Spezies wie unse­rer? Es gibt nur eine Möglichkeit, dies festzustellen, aber welcher der kühnen Forscher (ausnahmslos Männer, versteht sich) wird es wagen, die Probe zu machen?« An dieser Stelle wird in der Regel eine der an Knochen na­genden Höhlenfrauen plötzlich als schönes Geschöpf mit primitiv­erotischer Ausstrahlung geschildert, so daß der Leser das Dilemma des Forschers durchaus nachvollzie­hen kann: Soll er mit ihr schlafen oder nicht ?
    Ob Sie es glauben oder nicht, ein Experiment dieser Art hat wirklich stattgefunden. Wie wir gleich sehen werden, geschah es vor etwa 40 000 Jahren, zur Zeit

Weitere Kostenlose Bücher