Der dritte Schimpanse
eine Flasche Guinness-Bier und ein Blasrohr vor Augen und würde Sie bitten, diese Gegenstände China, Irland und Borneo zuzuordnen, so hätten Sie sicher keine Probleme, die richtige Lösung zu finden. Für die Neandertaler hingegen liegen keine Hinweise auf das Vorhandensein solcher kulturellen Unterschiede vor ; ihre Werkzeuge glichen sich weitgehend, ob in Frankreich oder Rußland.
Auch kultureller Fortschritt erscheint uns heute als Selbstverständlichkeit. Die Gegenstände, die man in einer römischen Villa, einem mittelalterlichen Schloß und einem Münchner Appartement des Jahres 1990 antrifft, unterscheiden sich erheblich. Im Jahr 2000 werden meine Söhne mit großen Augen auf den Rechenschieber blicken, den ich in den fünfziger Jahren noch benutzte, und fragen: »Papi, bist du wirklich schon so alt ?« Doch die Werkzeuge der Neandertaler zwischen der Zeit vor 100 000 und 40 000 Jahren sahen im wesentlichen gleich aus. Kurzum, ihre Werkzeuge unterschieden sich weder im Zeitablauf noch nach der geographischen Herkunft und ließen somit das typischste aller menschlichen Wesenszüge vermissen : Innovation . Mit den Worten eines Archäologen hatten die Neandertaler »schöne, aber stupide hergestellte Werkzeuge«. Trotz der größeren Gehirne fehlte noch etwas Entscheidendes.
Es dürften auch nur wenige Neandertaler Großeltern geworden sein. Die Skelettfunde machen deutlich, daß wohl keiner älter als 45 Jahre wurde und viele zwischen 30 und 40 starben. Man stelle sich nur vor, wie es um die Fähigkeit unserer Gesellschaft , Wissen anzusammeln und weiterzugeben, bestellt wäre, wenn wir nicht schreiben könnten und keiner älter als 45 Jahre würde !
All diese Punkte, bei denen die Neandertaler als rückständig erscheinen, mußten erwähnt werden, ich möchte aber auch auf drei besonders »menschliche« Aspekte hinweisen. Erstens gab es in praktisch allen gut erhaltenen Neandertaler-Höhlen kleine Stellen mit Asche und Holzkohle, die auf einfache Feuerstellen hindeuten. Obgleich es sein kann, daß der Peking-Mensch bereits mehrere hunderttausend Jahre früher das Feuer benutzte, waren die Neandertaler doch die ersten, die eindeutige Beweise für seinen regelmäßigen Gebrauch hinterließen. Sie waren vielleicht auch die ersten, die ihre Toten stets begruben ; doch dies ist umstritten, und ob es auf eine Religion schließen läßt, ist reine Spekulation. Schließlich kümmerten sie sich gewohnheitsmäßig um ihre Kranken und Alten. Die meisten erhaltenen Skelette älterer Neandertaler tragen Zeichen schwerer Beeinträchtigung, zum Beispiel durch (zwar geheilte) Knochenbrüche, ausgefallene Zähne und schwere Gelenkentzündungen. Nur die Fürsorge der Jüngeren kann es solchen Alten ermöglicht haben, trotz der Behinderung ein höheres Alter zu erreichen. Nach der langen Aufzählung all dessen, was den Neandertalern fehlt, haben wir hier endlich etwas gefunden, das uns einen Funken geistiger Verwandtschaft mit diesen fremden Geschöpfen der letzten Eiszeit – die von fast menschlicher Gestalt, doch noch nicht von wirklich menschlichem Geist waren – empfinden läßt.
Gehörten die Neandertaler nun der gleichen Spezies an wie wir ? Ob diese Frage zu bejahen oder zu verneinen ist, hängt davon ab, ob wir ein gemeinsames Kind mit einem Neandertaler bzw. einer Neandertalerin hätten haben können. In Sciencefiction-Romanen werden solche Situationen gerne ausgemalt. Der Umschlagtext entsprechender Bücher liest sich etwa so : »Eine Gruppe von Forschern trifft auf einer Expedition ins schwärzeste Afrika auf eine steile Schlucht. Dort begegnen sie einem Stamm unvorstellbar primitiver Menschen, die noch auf eine Weise leben, wie sie unsere steinzeitlichen Vorfahren schon vor Jahrtausenden aufgaben. Handelt es sich um Angehörige der gleichen Spezies wie unserer? Es gibt nur eine Möglichkeit, dies festzustellen, aber welcher der kühnen Forscher (ausnahmslos Männer, versteht sich) wird es wagen, die Probe zu machen?« An dieser Stelle wird in der Regel eine der an Knochen nagenden Höhlenfrauen plötzlich als schönes Geschöpf mit primitiverotischer Ausstrahlung geschildert, so daß der Leser das Dilemma des Forschers durchaus nachvollziehen kann: Soll er mit ihr schlafen oder nicht ?
Ob Sie es glauben oder nicht, ein Experiment dieser Art hat wirklich stattgefunden. Wie wir gleich sehen werden, geschah es vor etwa 40 000 Jahren, zur Zeit
Weitere Kostenlose Bücher