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Der dritte Schimpanse

Der dritte Schimpanse

Titel: Der dritte Schimpanse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jared Diamond
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würden unsere Kinder im Alter von fünf Jah­ren die Aussprache von Erwachsenen erlangen. Meine fast vierjährigen Söhne sind hingegen manchmal noch schwer zu verstehen. Bevor Meerkatzenjunge sechs oder sieben Monate alt sind, haben sie noch nicht gelernt, stets richtig auf die Rufe von Erwachsenen zu reagieren. So kann es passieren, daß sie bei Ertönen des Schlan­genalarms in einen Busch springen, was beim Anblick eines Adlers die richtige Reaktion wäre, als Reaktion auf eine Schlange aber tödlich sein kann. Erst im Al­ter von zwei Jahren stößt das Jungtier in jeder Situation den richtigen Alarmruf aus. Davor ruft es »Adler!« viel­leicht nicht nur, wenn ein Steppen- oder Kronenadler über seinem Kopf fliegt, sondern auch, wenn es irgen­deinen anderen Vogel am Himmel erblickt oder sogar, wenn ein Blatt von einem Baum fällt. Kinderpsycholo­gen sprechen von »Übergeneralisierung«, wenn unsere Kinder ein solches Verhalten zeigen, also beispielswei­se nicht nur Katzen mit »miau« begrüßen, sondern auch Hunde oder Tauben.
    Bis hierher habe ich menschliche Begriffe wie »Wör­ter« und »Sprache« nur locker auf die Lautbildung bei den Grünen Meerkatzen übertragen. Lassen Sie uns nun einen engeren Vergleich zwischen den Lautsystemen des Menschen und der anderen Primaten ziehen. Dabei geht es vor allem um drei Fragen: Handelt es sich bei den Lauten der Meerkatzen um echte »Wörter«? Wie groß ist der »Wortschatz« von Tieren? Gibt es tierische Laut­systeme mit einer »Grammatik«, und verdienen sie die Bezeichnung »Sprache« ?
    Zur ersten Frage, nach den Wörtern, läßt sich we­nigstens klar sagen, daß jeder der Alarmrufe der Grü-nen Meerkatzen sich auf eine wohldefinierte Klasse äu-ßerer Gefahren bezieht. Das heißt natürlich nicht, daß der »Leopardenruf« für sie die gleichen Tiere bezeichnet wie das Wort »Leopard« für einen ausgebildeten Zoo­logen – nämlich ein Tier einer bestimmten Art, defi -niert als Menge zur Zeugung gemeinsamen Nachwuch­ses fähiger Individuen. Wie wir bereits wissen, reagie­ren die Meerkatzen mit dem »Leopardenruf« nicht nur auf Leoparden, sondern auch auf zwei andere mittelgro-ße Raubkatzenarten (Servale und Karakale). Falls es sich bei dem »Leopardenruf« überhaupt um ein Wort han­delte, würde es deshalb nicht »Leopard« bedeuten, son­dern vielmehr »mittelgroße, uns normalerweise angrei­fende Raubkatze mit bestimmter Jagdweise, vor der man am besten auf einen Baum flüchtet«. Doch auch in der menschlichen Sprache werden viele Wörter in ähnlich allgemeiner Weise benutzt. Zum Beispiel verwenden die meisten von uns, von Ichthyologen und Berufsfischern abgesehen, das Wort »Fisch« für jedes kaltblütige Tier mit Flossen und Rückgrat, das im Wasser schwimmt und möglicherweise eine leckere Mahlzeit abgibt.
    Die eigentliche Frage lautet, ob der Leopardenruf ein Wort (»Mittelgroße Raubkatze, die … usw.«), eine Aus­sage (»Da schleicht eine mittelgroße Raubkatze«), einen Ausruf (»Vorsicht vor der mittelgroßen Raubkatze !«) oder einen Verhaltensvorschlag (»Klettern wir doch auf einen Baum oder tun sonst etwas, um dieser mittelgro-ßen Raubkatze zu entgehen«) enthält. Noch ist unklar, welche dieser Funktionen der Leopardenruf erfüllt oder ob es sich um eine Kombination handelt. Zum Vergleich fällt mir dazu ein, wie aufgeregt ich war, als mein da­mals einjähriger Sohn Max plötzlich »Saft« sagte, was ich stolz für eines seiner ersten Wörter hielt. Für Max war die Silbe »Saft« aber nicht bloß eine wissenschaftlich korrekte Bezeichnung für ein äußeres Bezugsobjekt mit bestimmten Eigenschaften, sondern auch ein Verhal­tensvorschlag : »Gib mir etwas Saft!« Erst Monate spä-ter fügte Max zusätzliche Silben hinzu, etwa »will Saft «, um auf diese Weise Vorschläge von reinen Wörtern zu unterscheiden. Es gibt keine Anzeichen dafür, daß die Meerkatzen dieses Stadium schon erreicht hätten.
    Die zweite Frage betrifft den Umfang des »Wortschat­zes«. In dieser Hinsicht scheinen selbst die am höchsten entwickelten Tierarten nicht im entferntesten mit uns mithalten zu können, geht man vom heutigen Stand un­seres Wissens aus. Ein Mensch benutzt im Durchschnitt ein Alltagsvokabular von rund tausend Wörtern ; mein Kompaktwörterbuch enthält angeblich 142 000 Wor­teinträge. Dagegen wurden selbst für die Grüne Meer­katze, das am intensivsten erforschte Säugetier, nur zehn verschiedene Rufe ermittelt. Doch so

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