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Der dunkle Kuss der Sterne

Der dunkle Kuss der Sterne

Titel: Der dunkle Kuss der Sterne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nina Blazon
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gewarnt.Wie in Trance entzog ich Amad meinen Arm. Mit einem Mal fror ich nur noch.
    »Alles in Ordnung?«, fragte Juniper von ihrem Lager.
    »Ja. Ich habe nur geträumt.« Ich steckte den Dolch wieder ein, legte mich zurück und wandte mich ab, krümmte mich zusammen und vergrub mich ganz in mich, dorthin, wo nur mein rasender Herzschlag und diese schreckliche Leere waren. Im Rücken spürte ich eine Weile noch Amads prüfenden Blick wie die Fingerspitzen einer kalten Hand, dann stand er auf und ging zu seinem eigenen Lager zurück.

Die Kolonne brach vor Sonnenaufgang auf. Aus einer Bodenklappe im untersten Teil der Kirche wurden das Gepäck und Mann für Mann mehr als zehn Meter tief abgeseilt. Die Fesseln schnitten tief unter meinen Armen ein. Mit weichen Knien landete ich auf dem schmalen Vorsprung, nicht einmal breit genug für einen Esel. Im Gänsemarsch setzten wir behutsam einen Schritt vor den anderen, eine Hand am Seil, das am Berg mit Haken an den Stein geschlagen war. Rechts von mir gähnte der Abgrund. Geröll löste sich unter meinen Zehen und fiel echoschlagend ins Tal. Mir brach der Schweiß aus. Juniper, die hinter mir ging, legte mir die Hand auf die Schulter. »Ruhig Blut. Einfach immer nur einen Fuß vor den anderen. Sing von mir aus einen Kinderreim, nur denk nicht an die Tiefe.«
    Der Vorsprung führte waagrecht im Bogen um ein Stück Berg herum, dann ging er in einen zerklüfteten Steingarten über. Wie Spinnweben spannten sich Seile über kleine Schluchten. Amad war vorausgelaufen und erwartete die Kolonne bereits an einer Hängebrücke. Das Harpunenbündel, das er für die Fischer getragen hatte, lehnte an der Brücke und Amad kramte noch in seinem Rucksack herum. Was hast du darin? Nur Proviant? Wenn man einmal durch Mauern geblickt hatte, das lernte ich an diesem Morgen, konnte man nie wieder blind sein. Aber noch mehr als das Misstrauen machte mir meine Enttäuschung zu schaffen. Wir waren uns nahegekommen, so nahe, dass ich selbst jetzt seine Umarmung nicht vergessen konnte. Ich hatte ihm vertraut – und völlig vergessen, dass er nicht auf meiner Seite war, sondern immer noch im Auftrag der Méganes handelte.
    Abschiedsrufe füllten das Tal, dann begannen die Fischer die schwankende Brücke zu betreten. Sie bestand aus faserigen Seilen und einem Laufsteg aus wetterzerfressenen Holzbrettern. In der Tiefe glitzerte ein Fluss wie ein silbernes Grinsen, das darauf wartete, jeden Fallenden zu verschlingen. Mir wurde das Herz schwer, als die Frauen mich zum letzten Mal umarmten. Amad schulterte seinen Rucksack. Es kostete mich Überwindung, zu ihm zu gehen, aber im Moment hatte ich keine Wahl. Ohne Tians Ruf war ich wieder so orientierungslos wie beim Verlassen der Stadt. Und ich Idiotin erzähle ihm sogar von Tians Verbindung!
    Juniper trat zu uns. »Zu schade, dass sich unsere Wege trennen. Ich hätte gerne mit dir getanzt, Amad.«
    »Und ich mit dir«, erwiderte Amad mit einem Lächeln, das mich traf wie ein Stich. Er winkte Enou und Perem zu und ging voraus, fort von der Brücke, bergauf nach Süden. Ich packte die Graue am Nackenfell, damit sie ihm nicht hinterherrannte. Es war wohl zu fest, der Hund jaulte auf.
    »Ist schon komisch, Schöne«, bemerkte Juniper mit einem Augenzwinkern. »Es gibt viele Arten, auf jemanden wütend zu sein, aber nur eine, die eindeutig nicht für Brüder reserviert ist.«
    Wenn du wüsstest , dachte ich niedergeschlagen.
    »Viel Erfolg bei der Jagd«, erwiderte ich ebenso vielsagend. »Was auch immer du an Land ziehst.«
    Juniper lachte so schallend, dass das Echo im Tal widerhallte. »Schon verstanden. Wenn ich die Nase noch einmal in deine Angelegenheiten stecke, beißt du sie mir ab.« Jetzt musste ich trotz allem lächeln. Ich erwiderte ihre Umarmung aus ganzem Herzen, obwohl ich am liebsten geweint hätte beim Gedanken, sie nie wiederzusehen.
    »Wenn dir mal wieder jemand eine Windsbraut auf den Hals schickt, helfe ich dir gerne aus der Patsche«, rief sie mir im Weggehen zu. »Falls mich bis dahin nicht der Hai frisst.«
    *
    Schweigend kämpften Amad und ich uns bergauf, im Bogen zurück zu den Plateaus, über die wir zurück auf den Talweg nach Süden kommen würden. Jeder Schritt fühlte sich falsch an, aber im Augenblick blieb mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Das Geröll trug uns immer wieder ein Stück talabwärts, als würden wir über ein gekörntes Tuch laufen, das jemand in Richtung Tal zog.
    »Noch zehn Meter bis zum nächsten

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