Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
so bestimmt, als hätte er es selbst gesehen, dass irgendein bedauernswerter Brecher gerade auf den abgetrennten Kopf eines Wachpostens gestoßen war, der dort im Gras lag.
Das erschrockene Stimmengewirr nach dieser Entdeckung war noch nicht verstummt, als Dinky Earnshaw und Ted Brautigan zwischen Bäckerei und Schuhgeschäft auftauchten – so dicht neben Jakes Versteck, dass er eine Hand aus dem Fenster des Wagens hätte stecken und sie berühren können. Ted war durch einen Streifschuss verwundet. Sein rechter Hemdsärmel war vom Ellbogen abwärts durchgeblutet, aber mit leichter Unterstützung von Dinky, der ihm einen Arm um die Schultern gelegt hatte, konnte Ted noch selbst gehen. Bei ihrem Spießrutenlauf durch die Doppelreihe aus Bewaffneten drehte Ted sich kurz um und sah geradewegs zu Rolands Versteck hinüber. Dann erreichten Earnshaw und er die Gasse und verschwanden.
Sie waren nun in Sicherheit, zumindest vorläufig, und das war gut. Aber wo blieb der große Boss? Wo war Prentiss, der Verantwortliche dieser abscheulichen Einrichtung? Roland wollte ihn ebenso erledigen wie den wieselköpfigen Taheen-Sai dort drüben – wenn man einer Schlange den Kopf abhackte, verendete die ganze Schlange. Aber er durfte nicht mehr viel länger warten. Der Strom der flüchtenden Brecher versiegte allmählich. Der Revolvermann glaubte nicht, dass Sai Wiesel auf die letzten Nachzügler warten würde; er würde verhindern wollen, dass seine kostbaren Schützlinge durch das Loch im Zaun flüchteten. Er würde wissen, dass sie in dem unfruchtbaren, düsteren Land, das den Komplex auf allen Seiten umgab, nicht weit kommen würden. Aber wenn Pleasantville aus Norden angegriffen wurde, konnten im Süden Retter bereitstehen, um …
Und da war er endlich, Gan und den Göttern sei Dank: Sai Pimli Prentiss, stolpernd und ausgepumpt und sichtbar unter Schock stehend. Unter seinem fleischigen linken Arm schwang ein Revolver in einer Dockerschlinge vor und zurück. Prentiss blutete aus einem Nasenloch und einem Augenwinkel, als hätte all die Aufregung irgendetwas in seinem Kopf platzen lassen. Er näherte sich dem Wiesel, wobei er leicht schwankte – dieses betrunkene Schwanken würde Roland später, als er sich bittere Selbstvorwürfe machte, fürs Endergebnis der Arbeit dieses Morgens verantwortlich machen –, und wollte vermutlich wieder den Befehl übernehmen. Ihre kurze, aber innige Umarmung, die Trost spendete und zugleich welchen empfing, sagte Roland alles Notwendige darüber, wie eng ihre Beziehung war.
Er zielte auf Prentiss’ Hinterkopf, betätigte den Abzug und sah Blut und Haare fliegen. Prentiss streckte die Hände aus, deren Finger sich vor dem dunklen Himmel abhoben, und brach fast vor den Füßen des vor Schrecken starren Wiesels zusammen.
Wie als Reaktion darauf flammte die nukleare Sonne auf und überflutete die Welt mit Licht.
»Heil, ihr Revolvermänner, tötet sie alle!«, rief Roland, indem er den Hammer seines Revolvers, dieser uralten Mordmaschine, mit der rechten Handfläche zurückschlug. Vier Personen waren bereits unter seinem Feuer zusammengebrochen, bevor die Wachen, die wie Tontauben auf einem Schießstand vor ihm aufgereiht waren, die Schüsse überhaupt registriert hatten – von einer Reaktion darauf ganz zu schweigen. »Für Gilead, für New York, für den Balken, für eure Väter! Hört mich an, hört mich an! Keiner darf stehen bleiben! TÖTET SIE ALLE!«
Und das taten sie: der Revolvermann aus Gilead, der frühere Drogensüchtige aus Brooklyn, das einsame Kind, das für die Haushälterin Mrs. Greta Shaw einst ’Bama gewesen war. Und aus Norden nahte ein vierter Angreifer, eine Frau, die auf ihrem Geländedreirad durch die immer dichter werdenden Rauchschwaden rollte (wobei sie nur einmal vom geraden Kurs abwich, um dem platt gewalzten Körper einer anderen Haushälterin – diese mit Namen Tammy – auszuweichen): sie, die einst von jungen, ernsthaften Männern der N-zweimal-A-C-P in gewaltlosen Protestmethoden unterwiesen worden war und sich jetzt – rückhaltlos und ohne Bedauern – für den Weg der Waffe entschieden hatte. Susannah erledigte drei säumige Hume-Wachen und einen flüchtenden Taheen. Der Taheen hatte ein Gewehr umhängen, aber er versuchte nicht einmal, es zu gebrauchen. Stattdessen hob er seine mit glattem Pelz bedeckten Arme – sein Kopf wirkte irgendwie bärenähnlich – und bat um Schonung und Entlassung auf Ehrenwort. Susannah, die daran dachte, was hier alles
Weitere Kostenlose Bücher