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Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Der dunkle Turm - Gesamtausgabe

Titel: Der dunkle Turm - Gesamtausgabe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zu fragen. »Tiere wie Misty und Bitsy sind nicht zur Zucht bestimmt und haben fast niemals reinrassige Nachkommen, wenn sie welche zur Welt bringen.«
    Tim entschied sich für Bitsy, die schon immer seine Favoritin gewesen war, führte sie am Zaum auf die Straße hinaus und saß ohne Sattel auf. Seine Füße, die bis halb zum Boden gereicht hatten, als sein Da’ ihn das erste Mal auf das Maultier gesetzt hatte, berührten jetzt fast den Erdboden.
    Bitsy stapfte anfangs mit trübselig hängenden Ohren dahin, aber als der Donner nachließ und der Regen zu einem Nieseln wurde, wirkte sie gleich munterer. Sie war es nicht gewohnt, nachts unterwegs zu sein, aber seit Big Ross’ Tod waren Misty und sie viel zu häufig eingesperrt gewesen, sodass sie …
    Vielleicht ist er nicht tot.
    Dieser Gedanke stieg aus Tims Unterbewusstsein auf wie eine Feuerwerksrakete und blendete ihn sekundenlang mit einem Hoffnungsschimmer. Vielleicht lebte Big Ross noch und irrte irgendwo im Endlosen Wald umher …
    Yar, und vielleicht besteht der Mond aus grünem Käse, wie Mama mir früher weiszumachen versucht hat.
    Tot. Das wusste sein Herz, wie es bestimmt auch Bescheid gewusst hätte, wenn Big Ross noch gelebt hätte. Mamas Herz hätte es auch gewusst. Sie hätte es gewusst und sich nie auf eine Ehe mit diesem … diesem …
    »Diesem Mistkerl.«
    Bitsy stellte die Ohren hoch. Sie hatten gerade das Haus der Witwe Smack am Ende der Hauptstraße passiert, und die Walddüfte wurden hier stärker: Der leichte, würzige Duft des Blossholzes wurde vom schwereren, kräftigeren Geruch von Eisenholz verdrängt. Dass ein Junge allein dem Eisenholzpfad folgte, ohne sich wenigstens mit einer Axt verteidigen zu können, war Wahnsinn. Das wusste Tim, aber er ritt trotzdem weiter.
    »Dieser üble Schläger .« Diesmal sprach er so leise, dass seine Stimme fast ein Knurren war.

Bitsy, die den Weg kannte,  
    zögerte nicht, als die Landstraße am Rand des Blossholzhains schmaler wurde. Das tat sie auch nicht, als die Straße sich später zum Eisenholzpfad verengte. Aber als Tim begriff, dass er sich wirklich im Endlosen Wald befand, ließ er sie anhalten, bis er aus seinem Rucksack das Gaslicht geholt hatte, das er aus der Scheune hatte mitgehen lassen. Der kleine Blechbehälter unter der Lampe war ganz mit Brennstoff gefüllt, sodass Tim hoffte, sie werde mindestens eine Stunde lang Licht geben. Sogar zwei Stunden lang, wenn er sie sparsam benutzte.
    Er riss ein Schwefelhölzchen mit dem Daumennagel an (ein Trick, den sein Da’ ihm beigebracht hatte), drehte das Ventil unter dem Glaszylinder auf und schob das Streichholz durch den Schlitz darunter. Die Lampe begann bläulich weißes Licht zu verbreiten. Tim hielt sie hoch, dann holte er erschrocken tief Luft.
    Mit seinem Vater war er schon mehrmals so tief im Endlosen Wald gewesen – allerdings nie nachts –, und was er jetzt sah, ließ ihn an eine schleunige Umkehr denken. Hier am Waldrand waren die besten Eisenholzbäume dicht über dem Erdboden abgesägt worden, aber die noch stehenden Bäume überragten den Jungen auf seinem kleinen Maultier turmhoch. Groß und gerade und feierlich wie Älteste der Manni auf einer Beerdigung (die kannte Tim von einer Abbildung in einem der Bücher der Witwe Smack), erhoben sie sich weit über das wenige Licht, das seine kümmerliche Lampe gab. Auf den ersten vierzig Fuß Höhe waren die Baumstämme völlig glatt. Darüber griffen ihre Äste wie emporgereckte Arme in den Nachthimmel und überzogen den schmalen Pfad mit einem Gespinst aus Schatten. Weil sie in Bodennähe kaum mehr als dicke, schwarze Säulen waren, wäre es möglich gewesen, zwischen ihnen hindurchzugehen. Natürlich wäre es auch möglich gewesen, sich mit einem scharfkantigen Stein die Kehle durchzuschneiden. Wer töricht genug war, den Eisenholzpfad zu verlassen – oder über ihn hinauszugehen –, würde sich rasch verirren und möglicherweise verhungern. Immer vorausgesetzt, dass er nicht vorher gefressen wurde. Irgendwo im Dunkel gab ein vermutlich großes Tier einen heiser glucksenden Laut von sich, als wollte es diesen Gedanken unterstreichen.
    Tim fragte sich, was er hier machte, wo er doch in dem kleinen Haus, in dem er aufgewachsen war, ein warmes Bett mit sauberer Bettwäsche hatte. Dann berührte er die Glücksmünze seines Vaters (die er jetzt am Hals trug) und spürte seine alte Entschlossenheit zurückkehren. Bitsy sah sich nach ihm um, als wollte sie fragen: Na, wohin soll’s

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