Der dunkle Turm - Gesamtausgabe
sicher!«
»Ja, Sir.« Er steckte Brief und Ausweis wieder in die Tasche. Seine Freunde »Richard« und »Arthur« folgten seinem Beispiel.
»Das ist ein vorzüglicher weißer Tee, Sir«, sagte Alain. »Ich habe nie einen besseren getrunken.«
»Aye«, sagte Avery und nippte am eigenen Glas. »’s ist der Honig, der ihn so köstlich macht. Hm, Dave?«
Der Hilfssheriff mit dem Monokel, der unterdessen am schwarzen Brett stand, lächelte. »So ist’s wohl, aber Judy rückt nicht gern damit heraus. Sie hat das Rezept von ihrer Mutter.«
»Aye, wir dürfen auch das Angesicht unserer Mütter nicht vergessen, das dürfen wir nicht.« Sheriff Avery sah auf einmal sentimental drein, aber Roland hatte da so eine Ahnung, als läge dem großen Mann im Augenblick nichts ferner als seine Mutter. Avery drehte sich zu Alain um, und der sentimentale Ausdruck wich einer überraschenden Verschlagenheit.
»Ihr wundert Euch über das Eis, Master Stockworth?«
Alain zuckte zusammen. »Nun, ich…«
»Ihr habt eine derartige Annehmlichkeit in einem Kaff wie Hambry garantiert nicht erwartet«, sagte Avery, und obwohl seine Stimme oberflächlich fröhlich klang, glaubte Roland, einen völlig anderen Unterton herauszuhören.
Er mag uns nicht. Er mag unser für ihn »städtisches Gebaren« nicht. Er kennt uns noch nicht lange genug, um zu wissen, was für ein Gebaren wir haben, wenn überhaupt, und schon missfällt es ihm. Er hält uns für ein Trio von Rotznasen, die ihn und alle anderen hier als Landeier betrachten.
»Nicht nur in Hambry«, sagte Alain ruhig. »Eis ist im Inneren Bogen heutzutage so selten wie überall, Sheriff Avery. Als ich aufwuchs, bekam ich es zumeist als besondere Leckerei bei Geburtstagsfesten und dergleichen.«
»Es gab immer Eis am Glühtag«, warf Cuthbert ein. Er sagte es mit un-Cuthbertscher Zurückhaltung. »Abgesehen vom Feuerwerk hat uns das immer am besten gefallen.«
»Ist das so, ist das so«, sagte Sheriff Avery in einem erstaunten Die-Wunder-hören-nicht-auf-Ton. Avery gefiel vielleicht nicht, dass sie so in die Stadt geritten kamen, es gefiel ihm nicht, dass er, wie er sich vielleicht ausdrücken mochte, den »halben verdammten Vormittag« mit ihnen vergeuden musste; er mochte ihre Kleidung nicht, ihre schicken Ausweispapiere, ihren Akzent, ihre Jugend. Am wenigsten ihre Jugend. Das alles konnte Roland verstehen, fragte sich aber, ob das denn schon alles war. Wenn hier noch etwas anderes vor sich ging, was war es?
»In der Stadthalle gibt es einen gasbetriebenen Kühlschrank und einen ebensolchen Herd«, sagte Avery. »Beide funktionieren. Draußen, auf dem Citgo-Gelände, gibt es eine Menge Erdgas – das ist das Ölfeld östlich der Stadt. Mir dünkt, Ihr seid auf dem Weg hierher daran vorbeigeritten.«
Sie nickten.
»Der Herd ist heutzutage nichts weiter als ein Kuriosum – Geschichtsunterricht für Schulkinder –, aber der Kühlschrank kommt gut zupass, das tut er.« Avery hielt sein Glas hoch und sah hindurch. »Zumal im Sommer.« Er trank Tee, schmatzte mit den Lippen und lächelte Alain an. »Seht Ihr? Kein Geheimnis.«
»Mich überrascht, dass Ihr keine Verwendung für das Öl gefunden habt«, sagte Roland. »Gibt es keine Generatoren in der Stadt, Sheriff?«
»Aye, vier oder fünf«, sagte Avery. »Der größte draußen auf Francis Lengylls Rocking B Ranch. Und ich kann mich erinnern, wie er noch gelaufen ist. Ein HONDA. Kennt ihr den Namen, Jungs? HONDA?«
»Ich hab ihn ein- oder zweimal gesehen«, sagte Roland, »auf alten motorbetriebenen Zweirädern.«
»Aye? Wie auch immer, keiner der Generatoren läuft mit dem Öl vom Citgo-Feld. ’s ist zu dick. Und teerig, allemal. Wir haben keine Raffinerien hier.«
»Verstehe«, sagte Alain. »Auf jeden Fall ist Eis im Sommer eine Leckerei. Wie auch immer es in den Becher kommt.« Er ließ eines der Stücke in den Mund gleiten und zerbiss es mit den Zähnen.
Avery sah ihn noch einen Moment lang an, so als wollte er sich vergewissern, dass das Thema damit erledigt sei, dann richtete er den Blick wieder auf Roland. Sein feistes Gesicht erstrahlte wieder in seinem breiten, wenig Vertrauen erweckenden Lächeln.
»Bürgermeister Thorin hat mich gebeten, euch seine besten Wünsche zu übermitteln und sein Bedauern auszudrücken, dass er heute nicht hier sein kann – sehr beschäftigt, unser Oberbürgermeister, wahrlich sehr beschäftigt. Aber er hat für morgen eine Abendgesellschaft im Haus des Bürgermeisters angesetzt –
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