Der einzige Ausweg: Ein Barcelona-Krimi (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
die in der Luft hingen und den Sauerstoff in dem engen Raum aufzehrten. Brais musste es gespürt haben, denn er öffnete das Fenster ein Stück.
»Stört’s dich?«
César verneinte stumm. Er hatte beschleunigt und musste vor der nächsten Kurve kräftig auf die Bremse treten.
»Tut mir leid«, sagte er in einem Ton, der wenig nach Entschuldigung klang.
Brais zuckte die Achseln.
»Ein Unfall käme jetzt nicht schlecht. Man könnte es als poetische Gerechtigkeit bezeichnen.«
Für César verdiente so ein dummer Kommentar keine Antwort.
»Passt doch«, sagte Brais. »Oder meinst du nicht, das wäre eine gute Art, mit dem Ganzen Schluss zu machen?«
»Mensch, Brais.« Ihm war nicht nach philosophischem Gequatsche über das Leben, den Tod und die Gerechtigkeit zumute. »Komm mir jetzt nicht damit, ja?«
Brais lächelte.
»Sag mal, magst du mich eigentlich so wenig, weil ich schwul bin? Oder weil ich bei dem Kanurennen gegen dich gewonnen habe.«
»Ich mag dich nicht, weil du solche Bemerkungen machst.«
»Da gebe ich dir recht.«
Brais lachte, und sein Lachen, wenn auch nur kurz und etwas bitter, löste ein wenig die Spannung.
»Im Ernst, César. Hast du gar keine Gewissensbisse? Ich frage aus reiner Neugier, und hier hört uns keiner.«
»Was ändert das? Was bringt es, die Vergangenheit zu bereuen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich habe gelernt, dass es besser ist, solche Gefühle hinunterzuschlucken. Oder sie auszuspucken. Alles, außer sie mitzuschleppen.«
»Man muss zu seinen Taten stehen, nicht?«
»So ungefähr.« Sie waren bald da, und César wollte ihm zumindest noch dieselbe Frage stellen. »Und du?«
Brais zögerte mit der Antwort. Und als er dann sprach, war es genau, was César erwartet hatte.
»Ich habe Angst, dass David davon erfährt. Ich will ihn nicht verlieren.« Er schaute César mit einer Offenheit an, als wollte er alle Schranken niederreißen. »Du hast wenigstens jemanden, mit dem du darüber sprechen kannst. Die anderen nicht. Ich zumindest kann es nicht. Und ich weiß nicht, ob die Gewissensbisse quälender sind, weil wir es getan haben, oder weil ich es vor ihm verheimliche.« Er lächelte leicht spöttisch. »Und genauso weiß ich, dass ich ihn weiter anlügen muss. Ich kenne ihn gut, und ich bin sicher, wenn ich ihm die Wahrheit sage, wäre es das Ende. Das würde ich nicht ertragen. Nicht mehr.«
Hinter dem Hang erschien das Haus. Diesmal hatte César es ohne Schwierigkeiten gefunden. Er stellte den Wagen ab, und zum ersten Mal während der ganzen Fahrt wandte er sich mit besorgter Miene und aufrichtiger Stimme an Brais.
»Ich weiß gar nicht, was wir hier eigentlich sollen.«
»Sílvia hat darauf bestanden.«
»Sílvia, ja.«
So war es gewesen. Aber was César sich nicht erklären konnte, war Sílvias Sinneswandel betreffend Octavi Pujades. Ein paar Tage vorher noch war sie Amanda über den Mund gefahren, als die ihn verdächtigte. Schon richtig, keiner wusste, wo Octavi am Sonntagabend gewesen war, doch so wie er, César, gelogen hatte auf die Frage, wann er Sílvias Haus verlassen habe, hatte vielleicht auch Brais ein falsches Alibi angegeben.
»Übrigens, warum hast du dich mit Manel getroffen?«
»Soll ich es dir sagen?« Brais senkte die Stimme. »Ich war aus demselben Grund bei ihm, weshalb wir jetzt hier sind. Um zu erfahren, ob er uns verraten hat. Ob er dieses verdammte Foto rundgeschickt hat.« César fragte nicht nach, und so fuhr er fort: »Um dafür zu sorgen, dass er damit aufhört, falls dem so war.«
Sie stiegen schweigend aus, und César ging schon auf das Haus zu, raschen Schrittes wegen der Kälte, als Brais Arjona noch sagte:
»Eben habe ich von Gewissensbissen gesprochen. Weißt du, was ich herausgefunden habe? Sie sind nicht unbegrenzt und werden immer schwächer. Und noch etwas. Wenn die Angst ins Spiel kommt, ist es besser, wenn sie verlieren. Das nennt man Überleben.«
Sílvia gingen ähnliche Gedanken durch den Kopf, Angst und Überleben, während sie die Zeitungsseite betrachtete, auf der man das Image des Unternehmens mit einem Federstrich zerstörte. Der Artikel nannte keine Namen, doch die Überschrift, »Jung, frei und … tot«, war ein vergifteter Pfeil, und er traf Alemany Kosmetik ins Herz.
Den ganzen Tag hatte sie E-Mails beantwortet oder ignoriert, um die Katastrophe herunterzuspielen. Ein Unternehmen, das, und sei es indirekt, seine Mitarbeiter in den Selbstmord trieb – drei in nur vier Monaten –, war allein schon so
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