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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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ihre Pässe geben. Aber das haben sie nun mal nicht getan, und da ging es für mich nur noch darum, meinen eigenen kostbaren Hintern zu retten.«
    »Ja. Und es ist ja gutgegangen. Diesmal«, brummelte Åke Stålhandske. Er sah nicht ganz zufrieden aus. Es war zwar gutgegangen, aber Luigi war unnötige Risiken eingegangen. Außerdem hatten sie jetzt eine Menge unangenehmer Fragen am Hals. Aber darüber konnten sie später noch diskutieren.
    Zwei Straßenblocks weiter begegneten sie einem Krankenwagen und zwei Funkwagen, die auf quietschenden Reifen und mit eingeschaltetem Blaulicht und Sirene um eine Straßenecke kamen. Åke Stålhandske fuhr im selben ruhigen Tempo weiter, warf nach einiger Zeit im Rückspiegel einen Blick auf die drei Einsatzfahrzeuge und verlor dann schnell das Interesse an ihnen. Er schwieg eine Zeitlang nachdenklich, bevor er etwas sagte.
    »Werden diese Figuren uns irgendwie reinlegen?« fragte er schließlich.
    »Das kann ich mir kaum vorstellen«, lächelte Luigi. » Umertà , du weißt schon. Die heiligste aller Schweigepflichten. Ich habe ihnen gegen umertà das Leben geschenkt.«
    Rune Jansson war bleich und durchgefroren. Er stand an seinem Fenster im zehnten Stock und starrte in die ewige Polarnacht hinaus. Es schneite immer noch. Es war halb acht Uhr morgens, aber hier gab es ja keinen Morgen.
    Es zog kalt und spürbar durch das Fenster, das sich nicht öffnen ließ. Er hatte erfolglos versucht, eine Seitenscheibe aufzubekommen, um ein wenig zu lüften. Das ganze Zimmer stank nach uraltem Tabakrauch und den Überresten mehr oder weniger gelungener Saufgelage. Es hatte jedoch den Anschein, als ob sich das kleine Seitenfenster, das zumindest so aussah, als könnte es sich öffnen lassen, mit Staub, Farbe und Feuchtigkeit vollgesogen hätte, so daß das aufgequollene Holz fest im Rahmen saß.
    Er ging fröstelnd ins Badezimmer, das einer etwas eigentümlichen Raumplanung zufolge zwischen einem größeren Flur mit Fernseher und ein paar Sesseln auf der einen und dem Schlafzimmer auf der anderen Seite eingeklemmt war. Das nannte man hier offenbar eine Suite. Die Polsterung der Sessel zeigte jedenfalls, daß der Raum schon so manches miterlebt hatte; Schnapsflecken, Speiseflecken und Brandlöcher von Zigaretten. Nachts hatten ein paar Frauen versucht, zu ihm ins Zimmer zu kommen. Er hatte tief geschlafen und zunächst gar nicht begriffen, worum es ging, als er zur Tür torkelte und sie öffnete. Dann hatte er das russische Wort für Polizist gefaucht, das jetzt eins der drei Wörter war, die er auf Russisch konnte: ja, nein und Polizist.
    Der Warmwasserhahn funktionierte nicht, und Rune Jansson rasierte sich vorsichtig mit Hilfe des dünnen kalten Wasserstrahls. Dann zog er ein sauberes Hemd an und ging zum Speisesaal hinunter. Im Grunde war es eher ein Café. Sie hatten immerhin Tee und Toast und eine Art Gebäck, das mit saurer Sahne garniert zu sein schien. Er war unsicher, ob die Sahne sauer sein sollte. Jedenfalls hatte er keinen Appetit. Im Augenblick war er zu jeder Art von Lusterlebnis unfähig.
    Die Verhöre waren schrecklich gewesen, aber letztlich doch nicht so widerwärtig, wie er es sich vorgestellt hatte. Man hatte die Festgenommenen nicht körperlich gefoltert, sondern ihnen bei den Vernehmungen »Musik« vorgespielt, das heißt Tonbandaufnahmen von Menschen, die vor Schmerz wie wild schrien. Die Delinquenten sollten den Eindruck bekommen, daß sich in den angrenzenden Vernehmungszimmern so etwas abspielte.
    Hamilton war bei diesem Schauspiel merkwürdig kalt geblieben. Er hatte hinter der großen Glasscheibe ruhig neben Rune Jansson gestanden und die Verhöre ganz sachlich übersetzt und kommentiert. Die Verdächtigen saßen im Verhältnis zu der verborgenen Zuschauertribüne in tiefer gelegenen, vollständig kahlen Zimmern mit hellgrüner dünner Farbe an den Zementwänden. Auf dem Fußboden standen jeweils zwei einfache Holzstühle und ein kleiner Tisch. Der Festgenommene saß mit auf dem Rücken gefesselten Händen auf dem einen Holzstuhl, dem Vernehmer gegenüber. Die Tür wurde von zwei uniformierten Wachen mit versteinerten Gesichtern flankiert. Rune Jansson hatte noch nie Todesangst gesehen, noch nie erlebt, wie Menschen vor einem vernehmenden Polizisten in der festen Gewißheit dasitzen, sterben zu müssen.
    Doch das hatten die Vernehmer sehr schnell erklärt: Hier verhalte es sich so, daß jeder, der nicht mit der Polizei zusammenarbeite, mit Sicherheit zum Tode

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