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Der einzige Sieg

Der einzige Sieg

Titel: Der einzige Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Guillou
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Wenn er sich mit den anderen Schweden verglich, fühlte er sich fast als Amerikaner. Die Nationalökonomen, der Ministerpräsident sowie der ganze Hofstaat aus Diplomaten und Sprechern hatten nichts davon an sich. Das zeigte sich nicht zuletzt, wenn Englisch gesprochen wurde. Die anderen hörten sich alle wie Ausländer an. Das war bei Carl gewiß nicht der Fall, der aber dennoch das seltsame Gefühl hatte, weniger amerikanisch zu sein als die anderen, zumindest in der Hinsicht, daß er die USA nicht blind bewunderte. Es fiel ihm immer noch schwer, das Unbehagen darüber abzuschütteln, daß er von einem kleinen, dünnhaarigen und auch in jeder anderen Hinsicht wenig beeindruckenden Mann wie ein Schuljunge behandelt worden war. Mochte dieser auch der Chef des NSC sein und pensionierter Generalleutnant der Air Force. Doch all diese versteckten und dann auch mündlich wie durch Körpersprache ständig deutlich gemachten Hinweise darauf, daß Schweden kleine Scheißer seien, die sich schrecklich freuen könnten, überhaupt nach Washington kommen zu dürfen, hatte Carl als demütigend empfunden. So hatten sie beispielsweise eilig aus dem Blair House ausziehen müssen, weil eine neue Delegation aus Uganda oder Rumänien eingetroffen war. Carl begriff nicht, warum er offenbar der einzige war, der die Dinge so sah. Die Nationalökonomen des Ministerpräsidenten hatten nur davon gesprochen, daß die Reise ein großer Triumph sei und das Ende der dunklen Periode unter Palme markiere. Jeder hatte sich anders ausgedrückt, aber alle hatten das gleiche gemeint.
    Während der Taxifahrt sah Carl die Stadt an sich vorüberziehen und machte einen neuen Anlauf, um das ganze Erlebnis zu verdrängen. Er bemühte sich sogar, die Bombenangriffe zu vergessen, die für zahlreiche Menschen das einzige konkrete und wichtige Ergebnis des schwedischen Staatsbesuchs sein würden. Eine große Zahl von Menschen in einem Wüstenland würde sterben. Das war alles.
    Doch jetzt war er unterwegs, um Tessie zu treffen. Sie hatte sich wegen des Fluges Sorgen gemacht, da sie jetzt im fünften Monat war. Die Risiken waren zwar nur klein, doch es gab sie. Andererseits unternahm sie die Reise, um ein verlorenes Kind wiederzubekommen.
    Carl stürzte sich dankbar auf das private Problem. Sie glaubte, den einmal verlorenen Sorgerechtsstreit nun zu gewinnen. Sie wollten in Washington einen besonders berühmten, erfolgreichen und teuren Anwalt aus Kalifornien treffen. Sie hatten sich auf Washington geeinigt, um nicht selbst nach Kalifornien fliegen zu müssen oder ihn nach Europa kommen zu lassen. Wie auch immer: Carl bezahlte die Tickets, so daß es keine große Rolle spielte.
    Er ermahnte sich, weder einen sauren noch einen niedergeschlagenen Eindruck zu machen, als sie sich trafen. Er wollte nicht in die Lage geraten, ihr etwas erklären zu müssen.
    Er war mehr als froh, als er sie mit zwei riesigen Reisetaschen auf quietschenden Rädern durch den Zoll segeln sah. Die Komik des Anblicks ließ ihn auflachen; sie hatte gepackt, als wollte sie auswandern und nicht für zwei Tage verreisen.
    Er preßte sie eng an sich, so eng, daß er ihre veränderte Gestalt deutlich spürte. Dann lachte er über ihr Gepäck.
    »Wenn du keinen amerikanischen Paß hättest, hätte dich die Einwanderungsbehörde gleich als typische illegale mexikanische Einwanderin geschnappt«, sagte er und befreite sie von ihren Taschen, die er auf einen Gepäckwagen warf. Dann begann er sofort, sie nach dem Flug zu fragen und ob sie mit ihm in die Stadt oder lieber gleich ins Hotel fahren wolle, um dort zu bleiben. Es war ja schon fast elf Uhr abends. Wenn sie aber irgendwie in Georgetown eine Kleinigkeit essen wollten, gehe das auch. Er hatte in der Suite des Willard Intercontinental ein paar Anzeigen von Fischrestaurants gesehen; mit diesen harmlosen Bemerkungen glaubte er, sich vollkommen normal zu geben, als wäre nichts passiert.
    Doch als sie in das Taxi einsteigen wollten, warf sie ihm plötzlich einen langen, forschenden Blick zu. Und als er um den Wagen herumgegangen und auf der anderen Seite eingestiegen war, konnte sie nicht mehr an sich halten.
    »Was ist passiert?« fragte sie sichtlich beunruhigt.
    »Nichts Besonderes. Wieso?« erwiderte er ausweichend.
    »Nichts Besonderes«, äffte sie ihn ironisch nach. »Das Besondere ist, daß du ungefähr einen halben Meter kleiner bist als sonst, wenn du verstehst, was ich meine. Was haben sie mit dir gemacht? Sie haben dir hoffentlich

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