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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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zu euch gekommen, nur, ihr wißt ja, ihre Beine und der weite Weg … Und dann Vater …!«
    Er sah die beiden prüfend an. Dann meinte er: »Ich will mir ja keine Kritik an meinem Erzeuger erlauben. Nur: Ich als Vater würde es anders machen. Du auch, Otto?«
    »Da«, sagte Otto und warf seinen lachenden strahlenden Bengel in die Luft. »So mache ich es.«
    »Na ja«, meinte Bubi. »Das kann Vater nun wirklich schlecht mit mir machen. Also denn adjüs. Ich komm mal wieder vor, Gertrud, wenn auch nicht so bald. Ihr wißt, die Penne!«
    Er nickte würdevoll, er ging. Gleich steckte er noch einmal den Kopf zur Tür herein. »Eine Frage noch, Otto: Klinge oder Messer?«
    »Wie …?!«
    »Ich streit mich ewig mit Vater, wie man sich rasieren soll. Mit der Rasierklinge oder dem Messer? Vater schwört natürlich aufs Messer.«
    »Du brauchst dich doch noch gar nicht zu rasieren, Bubi.«
    »Hast du’ne Ahnung! Bartwuchs wie Kaiser Barbarossa!«
    »Laß ihn doch wachsen!«
    »Also Apparat! Werde ich Vater von dir bestellen. Danke schön!«
    Und Heinz, doch mit Recht Bubi genannt, verschwand endgültig.

14

    So erfreulich dieser Besuch des jüngsten Hackendahl auch gewesen war, Aufklärung über den Verbleib Evas hatte er nicht gebracht. In den nächsten Tagen machte Otto auf Gertruds Betreiben noch manchen Weg, ja, er wagte sich sogar in das Polizeipräsidium am Alexanderplatz, vor dem er wie fast alle guten Bürger Berlins einen mit Grauen gemischten Respekt hatte.
    Aber er erfuhr nichts, sie hatten da zu viele Eugens in ihren Papieren, und eine Eva Hackendahl war ihnen – gottlob! – völlig unbekannt. Und das Warten in der Andreasstraße, in der Langen Straße blieb ebenso erfolglos. Schließlich überwand sich Otto so weit und benutzte noch die letzte Adresse, die Gertrud erfahren: Er ging in das »Hotel Oriental«. Aber dort stieß er auf Frau Pauli, und Frau Pauli war nicht gesonnen, Auskünfte über ihre Kundschaft zu geben. Weder kannte sie einen Herrn Eugen noch ein Fräulein Eva. Nein, es tue ihr leid, der Herr müsse sich bestimmt irren, vielleicht eine Verwechslung? Es gab ja so viele Hotels in Berlin, das »Adlon« zum Beispiel, den »Kaiserhof«, »Esplanade«, »Bristol«, vielleicht, daß seine Bekannten in diesen Hotels abgestiegen wären?
    Und sie lachte ihm direkt ins Gesicht. Ein wenig bedrückt berichtete Otto von seinen Mißerfolgen, aber jetzt war Tutti der Ansicht, daß er nun wirklich genug getan hatte. »Daß du da überhaupt hast raufgehen mögen, Otto! Daß du mit solchem Weib hast reden können! Nein, nun laß es sein, morgen fahren wir lieber noch einmal nach Strausberg. Hinter Strausberg die Dörfer sollen noch nicht so abgeklappert sein!«
    Wenn Tutti aber gemeint hatte, die Dörfer hinter Strausberg seien noch Neuland, so hatte sie sich sehr geirrt. Oder die Leute waren dort besonders hart. Oder sie hatten einen Unglückstag.
    Den ganzen langen Tag wanderten Otto und sie dort herum, in einem eisigen Winde; unermüdlich nahmen sie geradedie abgelegensten, die einsam liegenden Höfe aufs Korn, die an den schlechtesten, unpassierbarsten Wegen. Aber wenn sie dann an die Tür klopften, wenn sie nach ein bißchen Milch, nach ein paar Eiern, ja, nur nach Kartoffeln fragten, wenn sie baten, wenn sie von ihrem Kind zu Haus sprachen (und das taten sie nur schwer), wenn sie den zwei-, den dreifachen Preis boten, so hörten sie nur ein grobes Nein. Die Tür flog zu, und wenn sie nicht sofort gingen, so hörten sie es drinnen noch reden von »Ewiger Bettelei« und »Hungervolk«. Und sie waren doch bescheiden gewesen, sie hatten kein Wort gesagt von Butter oder Speck, den in dieser mageren Zeit am meisten entbehrten Fettigkeiten.
    Ja, dann ging Otto eine Weile wortlos und finster weiter, sein fröhlicher Gleichmut war von ihm gewichen. Vielleicht dachte er jetzt an sein schweres Leben im Schützengraben, auch für diesen Hof kämpfte er, litt er, war in Todesgefahr – aber sie sagten »Hungervolk«! Vielleicht aber dachte er nur an Gustäving, der so dürre Arme und Beine hatte, solch vorgewölbten, von Wassersuppen ausgeweiteten Bauch.
    Er sah diese Höfe, und er sah andere Kinder auf ihnen umherlaufen, Kinder, die gut genährte Körper hatten. Er sah die Stullen in ihrer Hand, wenn er durch das Dorf ging, und es war gerade Schulpause, und die Kinder standen vor der Schule und aßen. Er wurde so finster, so verzweifelt – dies sollte
ein
Volk sein. Hundert Klüfte zerrissen es und schufen

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