Der eiserne Gustav
den Karton auf. Was haben Sie da in dem Paket?«
Otto wollte vorüber, ohne zu hören.
»Herr Unteroffizier, seien Sie doch vernünftig …!«
»Daß ihr euch nicht schämt …!«
»Befehl ist Befehl, das wissen Sie doch …«
»Wenn ich sie nicht haben soll, ihr sollt sie auch nicht haben, ihr Bluthunde!« schrie eine Frau und warf Ei auf Ei klatschend auf den Bahnsteig.
»Komm, Tutti«, sagte Otto. »Gib dem Wachtmeister das Brot, und hier ist das Paket mit Eiern und Butter, Herr Wachtmeister. Guten Abend.«
Schweigend gingen sie nach Haus, leise sagten sie zu Gustäving: »Wieder nichts!«
Lange saßen sie still im Dunkeln.
Allmählich, wie sie merkte, es löste sich in ihm, stahl sich ihre Hand in die seine. Er duldete es, schließlich erwiderte er den Druck. Lange saßen sie so, in der kalten Wohnung, beide hungrig, beide ein wenig verzweifelt.
»Du – Otto?« sagte sie dann zaghaft.
»Ja, Tutti, was ist?«
»Aber du darfst nicht böse sein …«
»Dir – nie!«
»Wollen wir morgen noch einmal fahren?«
Er schwieg überrascht. Er wußte doch, wie sehr sie diese Fahrten verabscheute, wie sie längst nur widerwillig mitging. Und nun …?
»Aber warum denn jetzt, Tutti …?«
»Weil ich fühle, du möchtest jetzt grade noch einmal gerne fahren. Und weil ich immer nur tun möchte, was du gerne willst.«
»Gut, wir fahren.«
Mehr sagte er nicht.
Aber beide spürten, dies war das Glück. Es gab nichts darüber hinaus. Eine Gemeinsamkeit, leidgehärtet in einer Zeit, da fast alles zerfiel …
15
Also fuhren sie am nächsten Tage, und wirklich: Diesmal lächelte ihnen das Glück. Auf einem Hof, sie waren schon abgewiesen, sah die Frau plötzlich Ottos Regimentsnummer.
»Ach Gott, Sie sind ja von unsers Jungen Regiment! Ingemar Schulz – Schulz gibt’s viele, deswegen haben wir ihn Ingemar genannt! Kennen Sie ihn?«
Otto kannte ihn. Sie wurden hereingebeten, als geehrte Gäste saßen sie am Tisch mit. Otto erzählte, was er von Ingemar Schulz wußte. Es war nicht viel, denn Schulz war in einer anderen Kompanie. Aber für Elternohren war es himmlische Botschaft. Denn der Herr Unteroffizier hatte Ingemar noch vor neun Tagen gesehen und mit ihm gesprochen.
Sie bekamen, was sie haben wollten, soviel sie nur tragen konnten, sogar eine ganze Speckseite. Ihren heimlichsten Wunsch rief ihnen die Mutter noch aus der Tür nach: »Im Frühjahr reichen wir Urlaub für Ingemar ein, für die Bestellarbeit. Wenn Sie da ein gutes Wort für ihn einlegen wollten, Herr Unteroffizier?«
»Das ist ja nun auch wieder nicht richtig«, meinte Otto, »daß einem bloß geholfen wird, damit man Schiebungen macht.«
»Ach, du bist doch ein richtiger Berliner«, sagte Tutti vergnügt. »Immer meckern. Wir auf der Insel Hiddensee meckern nicht …«
»Ich bin aus Pasewalk, und die Pasewalker meckern auch nicht«, antwortete er, und nun lachten sie beide.
Dann kam die Angst vor der Kontrolle – aber heute abend sah niemand nach der Hamsterware hin, heute abend wurden auf einem anderen Bahnhof Haß und Verzweiflung in die Herzen gesät, heute abend durften Hackendahls ihre kostbare Last unangefochten nach Haus bringen.
Sie atmeten erst auf, als alles in der Küche stand, ein unerhörterReichtum, und Gustäving versuchte vergeblich, mit seinem Eins-zwei-sieben die Eier zu zählen. Dann sah er gespannt zu, wie seine Mutter Spiegeleier auf richtigem Speck briet und dazu Bratkartoffeln machte, Bratkartoffeln in Fett, nicht in Kaffeesatz gebraten!
Diese Braterei, die herrlichen Zutaten, ein Geruch, nie gerochen, ein Duft, schöner als der schönste Blumenduft – Gustäving hatte sogar die Geduld, das Essen abzuwarten.
Endlich saßen sie.
»Schmeckt es, Otto? Schmeckt es, Gustäving? – Iß langsam, mein Junge! So was gibt es nur einmal, von jetzt an muß Mutti wieder schrecklich sparen, daß die guten Sachen ganz lange reichen. – Ach, Otto, endlich wieder einmal anständiges Essen, nichts Gemanschtes, kein Ersatz … Diese schrecklichen Kohlrüben …«
Sie weinte fast vor Glück. Eine halbe Stunde später fing Gustäving an zu brechen.
Unter schrecklichem Quälen und Würgen brach sein Magen die kostbare, nahrhafte Speise wieder aus.
»Er verträgt nichts mehr!« jammerte Tutti verzweifelt. »Nun haben wir, was ihm helfen könnte, und er kann es nicht bei sich behalten. Ach, Otto, unser Kind ist halb verhungert, und ich habe ihm wirklich gegeben, was ich nur geben konnte …«
»Wir haben es falsch gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher