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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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»Komm mit, Kleine!« sagte er. »Was willst du bei dem Lauselümmel mit den vollgeschissenen Hosen?«
    »Danke«, sagte Irma. »Gehen Sie man lieber alleine – ich lasse mich nicht gerne totschießen!«
    »Totschießen? Wer redt denn von Totschießen? Ich habe vier Jahre Krieg hinter mir und bin noch nicht totgeschossen. Sollste sehen. Kleine, gar nichts passiert!«
    Er nahm die Pistole hoch, quer über die Fahrbahn ging er mitten auf den Grünstreifen.
    »Straße frei! Fenster zu!« schrie er. »Fenster zu!« schrie er noch einmal.
    Dann hob er die Pistole und schoß.
    Sie hörten das Klirren von Glas, den prasselnden Fall der Scherben auf das Pflaster.
    Noch einmal drehte sich der Matrose um. »Na, Kleine, wie is es? Du siehst, es passiert gar nischt!«
    Und nun ging er die Straße weiter hinauf, in seinen weiten, wehenden, flotten Hosen, wachsam rechts und links an den Häusern hoch sehend, manchmal schießend, manchmal beschossen, aber immer weiter gleichgültig rufend: »Straße frei! Fenster zu!«
    So entschwand er ihren Blicken.

6

    »Der ist also bestimmt kein Feigling!« sagte Heinz. Aber er sagte es nicht spitz, er sagte es nachdenklich.
    Trotzdem rief Irma sofort: »Aber Heinz!« Und leiser: »So dürftest du gar nicht sein.«
    »Das ist es eben«, meinte Heinz. »Der hat nun bestimmt Mut – aber ist es die richtige Sorte Mut? Ob es mehrere SortenMut gibt? Dann gäbe es vielleicht auch verschiedene Arten Feigheit …«
    »Hör bloß auf!« sagte Irma. »Das ist ja alles Quatsch. Ich weiß genau, wenn du mutig sein mußt, dann bist du’s auch. Und ich dito.«
    »Siehste!« rief Heinz erfreut. »Das denkst du doch auch? Trotzdem wir wirklich gerannt sind wie die Hasen, als der Auspuff von einem Auto knatterte!«
    »Das muß nicht wahr gewesen sein. Der kann das gesagt haben, um uns zu ärgern.«
    »Das glaube ich nun doch nicht. Übrigens habe ich das Auto stehen sehen …«
    »Wenn du mir davon ein Wort gesagt hättest!«
    »Du fielst ja direkt vom Nordpol in meine Arme.«
    »Du ärgerst mich heute immer!«
    »Und du schlägst mich!«
    »Du weißt, ich habe es nicht mit Absicht getan!«
    »Doch!«
    »Nein!«
    »Doch! Ausdrücklich! Mit der Faust auf die Neese! Mit Absicht!«
    »Du bist geradezu gemein!«
    »Nein!«
    »Du sohlst es!«
    »Von je war ich der Lüge abhold.«
    »Nein!«
    »Doch!«
    »Siehst du, du sagst es selbst, daß du gelogen hast!«
    »Eher auf den Scheiterhaufen – und sie bewegt sich doch!«
    »Quatschkopf!«
    »Danke …«
    Sie schwiegen, erhitzt, aber aufgemuntert.
    Dann, nach einer Weile: »Heinz!«
    »Nein!«
    »Aber Heinz!!«
    »Nein doch!«
    »Ich will doch nur fragen, ob die Straße jetzt ruhig ist? Wir können doch hier nicht stehen bis in die Nacht!«
    »Nein!«
    »Was nein? Frei oder stehenbleiben?«
    »Beides!«
    »Döskopp!«
    »Danke!«
    Wieder langes Schweigen. Dann: »Heinz!«
    »Ja doch, aber laut Geburtsschein besser Heinrich.«
    »Heinrich …«
    »Nein, um Gottes willen!«
    »Heinrich, mein Heinrich!«
    »Was hast du bloß? Bist du wirren Sinnes?!«
    »Ja! Heinz, sieh mich mal an!«
    »Na – und?«
    Was mach ich? Sie stampfte mit dem Fuß auf. »O Gott, stell dich bloß nicht so gräßlich doof an!«
    »Ich und doof …? Tochter der Quaasin!«
    »Laß den Quatsch! Kapierst du noch nicht?«
    Sie machte seltsame Mundbewegungen.
    »Keine Ahnung, meine rote Schwester! Hast du Zahnschmerzen?«
    »Heinz …!! Komm her! Noch näher! Sieh mich an! Nein, sieh mich nicht an! Mach die Augen zu! Du sollst die Augen zumachen, du Affe! Ganz fest! Mogelst du auch nicht …?«
    »Ich habe die Augen zu …«
    »Ganz fest?«
    »Ehrenwort!«
    Pause. Dann fragte er ungeduldig: »Was ist denn? Was soll der Blödsinn?«
    Irgend etwas Feuchtes, Warmes streifte sein Kinn …
    »Verdammt noch mal!«Er riß die Augen auf. »Was hast du gemacht? Hast du mich geleckt …?«
    Sie sah ihn an, zitternd vor Entschlossenheit.
    »Ich habe dir einen Kuß gegeben, Heinz!« sagte sie feierlich.
    Er starrte sie an. Mit der Hand wischte er sich das Kinn ab. »Verdammt!« sagte er. »Das ist wahrhaftig die Revolution! Einen Kuß!!«
    Sie nickte. »Jawohl! Einen Kuß! Unsern ersten Kuß … ich liebe dich nämlich.«
    »Ich glaube, du bist verrückt geworden! Hast du vergessen, daß wir diese Abknutscherei als unästhetisch abgelehnt haben? Daß diese sogenannte Liebe bloß ein schlauer Trick der Natur ist zur Erhaltung der Art? Ich versteh dich nicht, Irma, diese Schießerei muß dich ganz durchgedreht

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