Der eiserne Gustav
sie manchmal diese Sachen. Sie erzählt ihm von seinem Vater, wie sie ihn heute sieht, von dem wirklichen Otto Hackendahl, einem mutigen, sorglichen Mann, einer Art Künstler im Holzschneiden … Und wenn es schon dunkel ist, erzählt sie dem Kind, daß die letzten Worte seines Vaters waren: »Es hilft nichts, wir müssen voran!«
Dann hält sie den Jungen lange still im Arm, und sie betet für ihn zu Gott, daß etwas von diesen Dingen in ihm keimen möge … Satt zu essen kann ich ihm nicht geben, denkt sie manchmal. Aber den Glauben kann ich ihm doch geben …
Sie weiß nicht, was für ein Glaube das eigentlich ist; es scheint ihr nur ein guter Glaube zu sein …
Helden und Heldenverehrung! Vielleicht wäre sie in der Gefahr, aus einem Menschen einen Gott zu machen, aus einer Liebe eine duselige Schwärmerei. Aber sie lebt zu nahe der Erde, sie bekommt all ihre Schwere zu spüren. Sie hat zwei Kinder zu versorgen, sie muß viele Stunden vor den Lebensmittelgeschäften stehen, und wenn sie dann abgehetzt nach Haus kommt, hat sie Essen zu kochen, die Wohnung sauberzuhalten, Wäsche zu waschen – aber sie muß auch für das tägliche Brot arbeiten. Die Pension für eine Kriegerwitwe ist nur klein, sie muß zehn, zwölf Stunden an der Maschine sitzen, um das Nötigste zu verdienen.
Sie schläft nie mehr als fünf Stunden – und fünf Stunden Schlaf sind schon viel. Der gute Kassenarzt schüttelt den Kopf. »Lange machen Sie es auch nicht mehr! Zum hundertstenmal sage ich Ihnen: Scheren Sie sich ins Krankenhaus!«
»Bis meine Jungen groß sind, halte ich es noch aus, Herr Doktor«, lächelt sie. »Dann ruhe ich mich bestimmt aus.«
Der Arzt sieht sie nachdenklich an. Er ist sich gar nicht sicher, ob diese Frau nicht längst vor dem Frieden ihren Frieden haben wird. Aber er mißtraut seinen ärztlichen Erkenntnissen. Vom ärztlichen Standpunkt aus müßte mindestens die Hälfte seiner Patienten längst verhungert sein. Doch sie kommen immer wieder, diese Frauen, fast ohne Schlaf, überbürdet, theoretisch tot – und leben immer weiter.
Auch der Lebensfunke in diesem schwachen, verkrüppelten Körper – ja, ist es nicht fast, als brennte er stärker statt schwächer? Zwei Kinder und ein Traum – damit läßt sich eben doch leben, trotz alledem!
8
Die Nähmaschine schnurrt, eine Naht rauf, wieder runter, die nächste Naht. Gertrud Hackendahl arbeitet, und dabei hört sie auf das, was ihr Eva erzählt.
Eva erzählt natürlich von der Revolution, wie sie ihr erscheint, und diese Revolution wird ihr natürlich nur merkbar in der Beziehung auf ihn. Er ist natürlich derjenige, welcher – und derjenige welcher ist bei Eva Hackendahl immer noch Eugen Bast.
Eva Hackendahl hat nie in ihrem Leben einen Mann geliebt. Ihr erstes und einziges Erlebnis war Eugen Bast, und den hat sie von je mit aller Kraft ihres schwachen Herzens gefürchtet und gehaßt. Wenn man nach der Liebe geht, so ist Eva Hackendahl noch immer eine eiserne Jungfrau, sie hat nie einen Mann geliebt, sie hat nie einen Mann angeschaut, seiner zu begehren. Sie kennt alle Männer nur von einer Seite her, und daß diese Seite ihr recht ekelhaft erscheint, dafür haben Eugen Bast und einige Krankheiten gesorgt!
Da sitzt sie bei der Schwägerin und redet. Sie redet hin und her, sie hat dies gehört und sie hat das gehört, sie wendet es so und wieder anders. Sie ist unerschöpflich darin, weil Eugen Bast eben ein unerschöpfliches Thema ist.
Sie ist immer noch recht hübsch, die Eva Hackendahl, nur etwas Scharfes hat ihr Gesicht bekommen, und etwas Weinerliches klingt in ihrer Stimme mit …
»Ja«, sagt sie, »und der Herr hat gesagt, daß sie morgen schon alle aus dem Gefängnis rauslassen, alle, nicht bloß die Politischen …«
Gertruds Gesicht wird abweisend: Dafür hat Otto nicht gekämpft, dafür ist Otto nicht gefallen, daß die Eugen Basts wieder frei auf der Straße herumlaufen …
»Nun ist es ja bloß, Gertrud«, fährt Eva in ihren Überlegungen fort, »daß er doch gar nicht in Berlin ist. Er sitzt doch im Zuchthaus in Brandenburg! Vielleicht lassen sie in Brandenburg die Leute nicht raus, was meinst du, Gertrud?«
»Wenn sie klug sind, behalten sie die Kerle drin«, sagt Gertrud Hackendahl. »Sie haben ja nachher bloß die Arbeit, sie wieder einzufangen!«
»Vielleicht haben sie in Brandenburg keine Revolution?«überlegt Eva weiter. »Brandenburg ist ja bloß ein Städtchen. Ich bin zweimal da gewesen, zweimal hab ich ihn besuchen
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