Der eiserne Gustav
dürfen. Man darf Zuchthäusler nur zweimal im Jahr besuchen. Und ein Jahr ist er ja erst drinnen …«
Jetzt ist Gertrud Hackendahls Gesicht ganz hart und verschlossen geworden. Sie findet es schamlos von der Schwägerin, so von diesen Dingen zu reden! Wie sie offen von Zuchthaus und Dieben spricht, das ist schamlos! Und Tutti läßt ihre Maschine rattern, so laut es nur geht.
»Aber ich hab immer Pech im Leben gehabt«, spricht Eva klagend weiter, »und so werden sie wohl auch in Brandenburg Revolution machen, und der Eugen kommt wieder raus! Und ich habe immer gedacht, ich hätte noch zwei Jahre Ruhe vor ihm. Oh, was mach ich nur, Gertrud, was mach ich nur …?«
Jetzt klingt wirkliche Angst aus Evas Stimme. Das fühlt Tutti auch, und so hält sie einen Augenblick mit Nähen inne, dreht sich zur Schwägerin um und sagt: »Du fährst einfach fort aus Berlin! Du hast dir doch ein bißchen was gespart, du kannst überall leben! Wie ich den Kerl kenne, was ich von ihm gehört habe, denk ich, der hat jetzt bei dieser feinen Revolution in Berlin so viel zu tun, daß er dir bestimmt nicht nachreist!«
»Aber dann, wenn mein Geld alle ist, und ich muß wieder hierher zurück, dann kriegt er mich doch! Und dann wird es extra schlimm – ich hab dir doch erzählt, wie schlimm es damals war, als ich nur die paar Wochen in der Munitionsfabrik gearbeitet hatte. Das halte ich nicht noch mal aus!«
Sie sitzt ganz zusammengefallen da, sie ist nur noch Angst. Jetzt denkt sie wieder an die Zeit zurück, da Otto aus dem Felde kam, da die Geschichte in der Munitionsfabrik passierte – sie wußte nicht, wohin, also ging sie zu ihm. Ja, sie war direkt zu ihm gegangen; ein Hund, den sein Herr sehr verprügelt hat, läuft auch einmal fort, aber er kommt wieder, er kommt immer wieder, zum harten Herrn, zu Schlägen, zu Hunger …
Und sie hatte alles erlebt: Härte und Schläge und Hunger. Er hatte sie gnadenlos verprügelt, und dann hatte er sie sofort wieder zu einer Frau gebracht. Diesmal nicht in die Lange Straße, wo die Bezahlung zu schlecht war, sondern diesmal in den Westen, in die Augsburger Straße. Da hatte sie arbeiten müssen, arbeiten wie kein anderes Mädel. Tag und Nacht hatte sie auf die Straße gehen müssen – und nie hatte sie ihm genug verdient! Er hatte ihr jeden Pfennig abgenommen, er hatte ihr nicht einen Groschen für Essen, Kleidung, Wohnung gelassen.
»Sollen sie dich doch einstecken, Dowe«, hatte er bloß gelacht. »Da mach ick mir jar nischt draus. Krepier doch!«
Ach, er hatte es so getrieben, mit Schlägen und Drohen und Geldverdienen, daß sogar die harte Frau, daß sogar die Mädchen sich ihrer erbarmt hatten. Es wurde schließlich alles hinter seinem Rücken geregelt! Aber immer die Todesangst, daß er dahinterkommen könnte!
Oh, die schreckliche Stunde, da er entdeckt hatte, sie besaß ein Seidenkleid! Ein Abendkleid mit tiefem Ausschnitt, das sie doch brauchte, weil die Herren mit den Mädchen in Weinlokale oder Bars gehen wollten! Er nahm ihr das Kleid nicht etwa fort, er gab ihr eine Schere in die Hand, und er ließ sie das Kleid zerschneiden … Sie selbst mußte es zerschneiden, ihr geliebtes, schönes Seidenkleid, das einzige hübsche Stück, das sie besaß – in lauter Fitzelchen und Schnitzelchen, die zu nichts zu brauchen waren!
Und das andere Mal, wie sie nach seinem Diktat an das Gesundheitsamt der Stadt Berlin hatte schreiben müssen, daß sie sich als Straßenmädchen anmelde: »… Hochachtungsvoll Eva Hackendahl …« Und alles auf einer Postkarte …!
Oh, wie sie ihn gehaßt hatte, wie sie ihn immer noch haßte! Und doch immer stärker fühlte, daß er unentrinnbar war, daß sie nie auch nur die geringste Kraft in sich fand, sich gegen ihn aufzulehnen.
Wie sie die anderen Mädchen beneidete um ihr angstfreies Leben, sie, die sich kaufen konnten, was sie begehrten, dieim Bett liegenbleiben durften, wenn sie müde waren, die nicht jeden Augenblick ihres Lebens vor einem katzenhaften Schleicheschritt beben mußten und der frechen Frage: »Na, Dowe, wieviel Pinke haste zusammen für deinen Eugen?! Glotz nich – oder ich ballere dir einen in die Fassade!«
Bis der Himmel oder das Schwurgericht sich ihrer erbarmte und den klugen Eugen Bast doch einmal wieder für drei Jahre ins Zuchthaus nach Brandenburg schickte! Drei Jahre Freiheit, eine endlose Zeit, eine Zeit des Aufatmens, Glück, das schäbige bißchen Glück, das einem verdorbenen Leben eben noch abzuringen war … Und
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