Der eiserne Gustav
am Ende dieser drei Jahre würde man fliehen, mit erspartem Geld, vielleicht nach Österreich, in ein kleines verschollenes Nest. Dort konnte man sich einen Laden kaufen, einen Tabakladen, oder besser noch Wäsche, sie hatte Geschmack für Wäsche.
Und nun jetzt, nach einem Jahr schon, der Friede – und solch ein Friede, der den Eugen Bast wieder zu ihr ließ! Beinahe stöhnt sie auf. Es ist ja nutzlos, ihn zu belügen, er durchschaut sie doch. Und wenn er sie nicht gleich durchschaut, so wird er mit der Frau und den anderen Mädchen quatschen. Er holt die aus – sie hat mit drei Jahren gerechnet und leichtsinnig von ihren Plänen geredet! Er wird ihr das Geld nehmen und die Kleider, und dann wird er sie doch noch quälen und strafen für jedes Wort, das sie gesagt hat …
Jetzt stöhnt sie wirklich auf, und die Schwägerin hält die Maschine an und fragt: »Was hast du denn? Hast du solche Angst vor ihm?«
Sie nickt. »Bestimmt lassen sie ihn raus. Und dann fängt alles wieder an!«
Gertrud Hackendahl weiß längst, daß der Eva nicht zu helfen ist. So sagt sie bloß ärgerlich: »Was das bloß für Kerle sind, die solche Zuchthäusler rauslassen?! Selber ins Zuchthaus gehören die!« Ihr dünner, schmallippiger Mund zuckt. »Aber warte nur, wenn erst das Heer von der Front zurückkommt!«
»Meinst du?« fragt Eva schüchtern. »Glaubst du, die Soldatenstecken Eugen wieder ein?« Einen Augenblick leuchtet eine matte Hoffnung in ihr auf, aber sie erlischt gleich wieder. »Nein, nein«, sagt sie mit einem Seufzer, »ich habe kein Glück. Die Soldaten können gar nichts machen. Die haben auch nichts mehr zu sagen, jetzt, wo sie besiegt sind und wo wir den Krieg verloren haben …«
»Was sagst du …?« fragt Gertrud Hackendahl und steht von ihrer Maschine auf. Sie fragt es so, daß es plötzlich totenstill ist in der kleinen Küche.
Eva starrt die Schwägerin nur an.
Die steht vor ihr, eine kleine, verkrüppelte Gestalt. Jetzt hat sie die Hände aufs Herz gelegt, als empfinde sie Schmerz. Mit weit offenen Augen starrt sie Eva an.
»Was sagst du?« fragt sie noch einmal leise. »Deutschland ist besiegt? Deutschland hat den Krieg verloren …?
»Alle Leute sagen …«, fängt Eva ratlos an.
»Du hältst den Mund«, wird sie plötzlich angefahren. »Nie wieder redest du so etwas bei mir! Schämst du dich denn gar nicht? Hast du denn gar kein Ehrgefühl im Leibe?! Du bist die Schwester von Otto.« Ihr Blick streift rasch die Kommode, aber gleich sieht sie die Schwägerin wieder an, flammend sieht sie sie an. »Du weißt, wie er gestorben ist und wofür er gekämpft hat – und du sagst besiegt, du sagst verloren …«
»Gertrud, bitte, ich meine doch nicht Otto …«
»Ja, wofür ist er denn gestorben, wenn wir besiegt sind? – Wo sind wir besiegt?! Sag doch, wo haben wir eine Schlacht verloren?! Sag doch! Pfui Teufel, die Schande! Wir haben gesiegt, gegen die ganze Welt haben wir gekämpft und gesiegt, kein Feind steht in Deutschland, und du sagst besiegt?! Wo sind wir denn besiegt, wo?!«
Sie steht flammend da, sie hat immer schneller und zorniger gesprochen, noch nie in ihrem Leben ist sie so zornig gewesen. Gustäving hat die Stimme gehört, er steht in der Tür, er sieht von der Mutter zu der Tante, er ballt die Fäuste …
»Tu Mutti nichts!« ruft er.
Aber seine Mutter merkt ihn gar nicht. »Das ist ganz richtig«, ruft sie, »daß die jetzt die Zuchthäusler rauslassen. Da sieht doch jeder gleich, was das für eine Revolution ist …!«
Sie steht da, sie sieht ihre Schwägerin empört an. Dann erinnert sie sich, wem sie das alles sagt. Es hat ja keinen Zweck, die versteht ja nichts, die hat nichts in sich. Otto war einmal – fast – ähnlich, aber er hatte etwas in sich, was der Vater nicht kaputt gekriegt hatte: Er konnte lieben. Eva hatte gar nichts in sich …
»Sage nicht noch einmal so etwas in meiner Küche«, erklärt sie darum abschließend. »Gustäving, geh in die Stube, paß auf Brüderchen auf …«
Sie setzt sich wieder an die Maschine.
Nach einer Weile sagt Eva schwach: »Mir ist es ja egal, was die Leute sagen. Wenn bloß Eugen nicht wieder rauskommt …!«
Gertrud antwortet gar nicht, sie sitzt und näht. Sie hat gerade wieder die erste Näharbeit einer Privatkundin: Sie näht einen feldgrauen Militärmantel zu einem Damenmantel um. Sie hat bisher nicht darüber nachgedacht, aber plötzlich fällt ihr ein, daß es bisher solche Arbeit nicht gab. Bisher gab es nie genug
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