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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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abgerissen …«
    Einen Augenblick war es totenstill in der Küche. Der Junge stand groß und blaß vor seiner kleinen Schwägerin.
    Sie hatte die Augen geschlossen. Sie besann sich nur mühsam.
    Dann sagte sie flehend: »Geht raus, bitte, geht jetzt alle raus aus meiner Küche. – Nein, ich bin dir nicht böse, Bubi. Vielleicht hast du sogar recht, vielleicht ist es so, wie du gesagt hast, aber ich will es nicht wissen … Ich will nie wieder etwas davon hören … Du hast mir schrecklich weh getan, Bubi. – Ich weiß nur: Otto war gut, und wenn er seinem Vater weh getan hat, so hat er ihm weh tun müssen, er hat es nicht gewollt …«
    »Komm doch, Heinz. Du quälst sie bloß«, bat Irma.
    »Also geh, Heinz, geh in den Reichstag. Geh überall hin, horche … Und ich weiß doch schon heute: Du findest nur Schlechtes …«
    Er streckte ihr zögernd die Hand hin. »Auf Wiedersehen, Tutti!«
    Sie lächelte schwach. »Du, Junge, ach, du Junge, du! Was wirst du dir die Finger verbrennen! Du hast ja so ein weiches Herz, dir tut ja ebenso weh, was du mir gesagt hast, wie mir. All ihr Hackendahls seid weich, ihr Kinder, meine ich.«
    »Auf Wiedersehen, Tutti.«
    »Auf Wiedersehen, Bubi! Tu dir nur nicht zu sehr weh …«

10

    Unten auf der Straße fragte Irma: »Wir gehen also doch zum Reichstag?«
    »Da verlaß dich drauf!«
    »Und wann kommen wir nach Haus?«
    »Wenn es soweit ist!«
    »Und was wird dein Vater sagen?«
    »Da denk ich überhaupt nicht daran!«
    Natürlich dachte er doch daran, aber plötzlich war ihm egal, was der Vater sagen konnte. Viele, viele Jahre lang hatte des Vaters Wort wie Donnerrollen, wie Gotteswort in seinem Ohr geklungen. Nun war sein Ohr taub für seines Vaters Wort geworden, wie die Soldaten nicht mehr die Befehle ihrer Offiziere hören, die Arbeiter nicht mehr ihren Lohnherren gehorchen wollten.
    In seinem Kopf geht alles durcheinander, es verwirrt sich immer mehr. Tutti und die Zeitung, die abgerissenen Achselklappen und Ottos Auflehnung gegen den Vater, Bruder Erich mit Zimmer im Reichstag und entführten Liebknecht-Hörern, der Matrose …: alles Verwirrung! Und doch ist eine Helle in dem allen, eine gespenstische, mehr geahnte Helle. Es ist die Ahnung, daß hinter allen Verwirrungen ein Sinn stecken muß. Ach, es ist vielleicht nur das Gefühl, daß er jung ist, daß er leben will und daß er kein von anderen verpfuschtes Leben führen, nicht deren Sündenbock sein mag.Daß er sein ureigenes Leben haben will, mit allen Chancen für Sieg und Niederlage!
    »Du sagst ja gar nichts«, meinte Irma, beunruhigt durch das Schweigen des Freundes. »Du denkst wohl nach?«
    »Tu ich!«
    »Worüber denn? Über deinen Bruder?«
    »Auch. – Was meinst du, Irma, habe ich viel Blödsinn geredet bei Tutti?«
    »Teils – teils.«
    »Ach, sag doch wirklich!«
    »Recht hast du ja vielleicht, aber du hättest es ja nicht grade der Tutti versetzen müssen, wenn du eine Wut auf alle Hackendahls hast!«
    »Davon habe ich doch gar nicht geredet.«
    »Natürlich, bloß davon!«
    »Ach nee …« Er ärgerte sich ziemlich. So sieht das also für andere aus, zum Beispiel für Frauenzimmer, wenn er etwas rein sachlich bespricht. »Na ja, ihr Weiber …«, tröstete er sich.
    »Bitte sehr! Ich bin kein Weib – ich bin deine Freundin!«
    »Also schön …«
    »Und wenn du jetzt deinem Bruder Erich ein bißchen von deiner Wut auf die Hackendahls abgeben würdest, würde es mich wirklich freuen. Da ist der Reichstag!«
    Ja, da war er! Grau, dunkel, nicht mehr von Menschen umwimmelt, lag er im Nebel des Novemberabends. Nur wenige Straßenlaternen brannten.
    Etwas beklommen kletterten sie die Stufen zum Hauptportal hoch und wurden angehalten von einem Soldaten, einem noch ganz ordnungsgemäßen Kriegssoldaten mit Gewehr, Stahlhelm und Handgranaten. Nur, daß dieser Soldat eine Armbinde trug – diesmal war es eine weiße Armbinde mit schwarzem Stempel.
    Heinz nahm an, daß es der gleiche Stempel wie auf seinem Passierschein war, aber darin irrte er sich. Der Soldat faltete den Passierschein zusammen, gab ihn Heinz zurück und sagte: »Gilt nicht mehr.«
    »Wieso gilt nicht mehr? Heute nachmittag habe ich ihn doch erst bekommen!«
    »Und heute nachmittag haben wir die Brüder hier ausgeräuchert. Arbeiter-und Soldatenrat ist bei uns abgemeldet. Wir sind jetzt Noskes.«
    »Aber mein Bruder …«
    »Möglich«, sagte der Soldat gleichgültig, »daß die Brüder jetzt im Schloß sitzen. Da werden sie aber auch nicht

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