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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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Gesicht, zog den Kopf zwischen die Schultern. Er fühlte am Gewicht, daß Tinette an ihm hing.
    Dann war er zwischen den Leuten. Sie schlugen ihn, sie schrien ihn an: »Schieber! Speckjäger! Verräter! Drückeberger! Lude! Nuttenschwein!« Eine Frau spie nach ihm … Blind für alles, die Schläge vor Erregung kaum fühlend, drängte er vorwärts, nur bemüht, nicht den Anschluß an den starkknochigen Herrn vor ihm zu verlieren …
    Der drängte kräftig voran! Wie ein Sturmbock ging er durch die Menge, nur darauf bedacht, ohne Aufenthalt voranzukommen, prellte mit seinen breiten Schultern, die ihn aufhalten wollten, antwortete nie, schlug nie zurück – und kam vorwärts, unaufhaltsam vorwärts …
    Im Toben, im Schreien, im Anspucken, im Schlagen war es Heinz ein Trost, daß er manchmal stärker, manchmal schwächer, aber stets das Ziehen von Tinettes Hand in seinem Rücken spürte. Zurücksehen konnte er nicht, etwas sagen auch nicht. Einmal schrie er auf, ein Weib hatte nach ihm gestochen, mit einer Stricknadel wahrscheinlich, an dem deckenden Arm vorbei. Einen Augenblick fühlte er in der Backe einen brennenden Schmerz, dann kam lindernd das Rieseln von Blut …
    Nahm das nie ein Ende? Es war doch nur ein ganz kleiner Platz, ein Dreiecksplatz; sonst überquerte man ihn in zwei Minuten! Jetzt war es ihm, als sei er schon Stunden unterwegs! Immer weiter, immer tiefer hinein – und die Schläge, die Beschimpfungen verloren nichts an Kraft … Irgend jemandstellte ihm ein Bein, fast wäre er hingeschlagen. Diesmal rettete ihn die haltende Hand im Rücken.
    Und plötzlich war es vorbei – noch ein schwacher, zögernder Schlag … Er sah, wie der große Herr vor ihm kehrt machte, auf den bleichgesichtigen Bengel zu, der eben geschlagen hatte …
    Hier standen nur noch Zuschauer, die der Spektakel angelockt hatte. Der Platz lag hinter ihnen, sie waren in einer Straße …
    »Du schlägst mich, du Lauselümmel?!« schrie der Herr, rasend durch die erlittene Demütigung. »Komm, jetzt schlage ich!«
    Er drang auf den zurückweichenden Bengel ein, die Leute murrten …
    »Los, los!« drängte Tinette. »Nur fort von hier! Ich habe genug!«
    Sie eilten nebeneinander, mitten auf der Fahrbahn, weiter. Noch sahen Gesichter auf sie, neugierige, schadenfrohe, erschrockene. Dann bogen sie um eine Ecke. Heinz nahm Tinettens Arm. »Wollen wir nicht gleich ein Auto nehmen?« keuchte er atemlos. »Hast du viel abbekommen, Tinette?«
    Sie stieß seinen Arm zurück.
    »Faß mich nicht an!« schrie sie fast. »Du bist auch einer von diesen – Deutschen!«
    »Aber, Tinette! Es sind Arme, Halbverhungerte – sie wissen nicht, was sie tun! Und vielleicht war es wirklich nicht ganz richtig von uns, jetzt in solch ein Lokal zu gehen. Du verstehst doch, die Leute haben Schreckliches auszuhalten. Sie müssen ja neidisch sein …«
    Er sprach abgerissen, aufgeregt. Trotzdem sie ihn geschlagen und beschimpft hatten, fühlte er sich zu Recht geschlagen und beschimpft. Er stand auf ihrer Seite, weil er sie verstand – noch in ihren Verirrungen war er ihr Bruder. Noch in seiner Verirrung – denn auch ich bin verirrt, fühlte er. Vielleicht schlimmer als die …
    »Was sagst du, Tinette …?«
    »So seid ihr!« rief sie erbittert. »Weil ihr selbst grau seid und trübsinnig und dumpf – darum haßt ihr alles Licht, allen Frohsinn, alles Lachen. Ihr möchtet die ganze Welt so trübe und grau machen, wie ihr seid! Ihr erschlagt alles Fröhliche …«
    Auch wir waren einmal fröhlich; es stimmt nicht, was sie sagt, denkt er. Es ist alles nur verlorengegangen in diesen schrecklichen Jahren. Oder waren wir nie wirklich fröhlich …?
    Sie sagt fieberhaft: »Ihr Deutsche – ihr liebt nur eins: den Tod. Immerzu redet ihr vom Tod, vom Sterben; man muß sterben können, sagt ihr. Ihr Dummköpfe, sterben kann jeder! Leben muß man können, das Leben muß man verstehen – ach, das schöne, fröhliche Leben bei uns daheim! Ich habe noch nicht einmal richtig lachen können, seit ich hier bin!«
    »Das ist nicht wahr!« rief er. »Tinette, Tinette – wie oft hast du uns fröhlich gemacht mit deinem Lachen!«
    Sie hörte nicht auf ihn. »Darum habt ihr diesen Krieg mit uns angefangen, weil ihr das Lachen haßt, weil ihr das Leben haßt. Ihr möchtet, daß die ganze Welt langweilig und ernsthaft ist wie ihr … Aber ihr habt den Krieg verloren!«
    Sie sah ihn funkelnd an. Sie standen im Licht eines Lokals – sie sah ihn an, als sei er der Feind, er der

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