Der eiserne Gustav
…?« fragte Tinette. Und lachte auf. Dann stand sie auf und ging ihm voran auf die Diele.
Im Kamin brannte ein großes, lohendes, sehr helles Feuer … Drei Sessel standen weit von ihm entfernt, der Tisch vor dem Kamin fehlte, der große Perser mit seinen sanften, leuchtenden, seidigen Farben lag da wie eine Wiese.
»Setze dich, Henri!« sagte Tinette und deutete auf den seitlich stehenden Sessel. Er setzte sich.
Sie stand neben ihm, sah auf ihn herunter; er sah ihr rätselhaftes Lächeln, das nur im Ausdruck der Augen zu liegen schien … Ihre Finger tasteten um sein Handgelenk, fühlten nach seinem Puls …
»Klopft dein Herz auch so, Henri?« flüsterte sie. »Fühl doch, wie meines klopft!«
Sie führte seine Hand an ihre Brust. Es war warm und süß, ferne und dunkel klopfte das fremde Herz … Heinz schloß die Augen. Da war das Summen wieder, das Summen des eigenen Blutes, und die ganze Welt schien mitzusummen …
»Ich gehe jetzt, gnädige Frau …«, sagte Minna von der Tür her.
Heinz öffnete die Augen. Er sah das Mädchen in der Türstehen; mit seinem ausdruckslosen, hölzernen Gesicht sah es zu den beiden hin.
»Es ist gut, Minna«, sagte Tinette. Sie hielt weiter Heinzens Hand auf ihrer Brust, immer das gleiche rätselhafte Lächeln in ihren Augen. »Vergessen Sie nicht, die Haustür abzuschließen. Gute Nacht, Minna.«
»Gute Nacht, gnädige Frau.«
Minna war gegangen. Tinette legte sachte seine Hand auf die Seitenlehne des Sessels zurück.
»Wo nur Erich bleibt …?«flüsterte sie.
Sie ging zu dem mittleren Sessel, setzte sich. Sie saß, leicht vornübergebeugt, das Auge auf die Flammen gerichtet. Manchmal fiel mit einem dumpfen Laut ein Scheit von der Höhe des Haufens auf den Rost – dann leuchteten die Flammen heller. Sie warfen ihren Schein auf ihr Gesicht, das von innen zu leuchten schien – es war das schönste Gesicht der Welt.
Nie wieder werde ich eine Frau so lieben, fühlte Heinz. Und in dieser Stunde liebe ich sie am stärksten …
Erich kam. Er sah auf Bruder und Freundin, die weit voneinander in ihren Sesseln auf das Feuer starrten – und lächelte. »Sie kommt gleich«, sagte er dann.
»Es ist gut, mein Freund«, antwortete Tinette, ohne den Kopf zu bewegen.
Aber Heinz wandte sich gereizt an Erich. »Willst du mir nicht endlich erklären«, sagte er böse, »was all dies Theater soll?! Wer kommt gleich? Warum sind alle Dienstboten fortgeschickt? Was soll diese Geheimnistuerei?«
»Wieso? Hat dir denn Tinette nicht Bescheid gesagt?« Erich tat sehr überrascht. Aber ein so guter Lügner er auch war, manchmal log er doch ungeschickt.
Heinz merkte es sofort. »Stell dich noch an!« sagte er ungnädig.
»Ich finde es ganz reizend von Tinette«, sagte Erich unverändert liebenswürdig, »daß sie dich hat überraschen wollen. Aber etwas Geheimnisvolles ist nicht dabei, Bubi. Ich kann es dir ruhig verraten. Mein lieber Junge«, er beugte sich nun dochflüsternd ganz nahe zu Heinz, als dürfe nicht einmal Tinette hören, was er dem Bruder sagte. »Mein lieber Junge, du wirst ein ganz großes Erlebnis haben. Die junge Dame, die du eben gesehen hast, ist die schönste, die begabteste, die gefeiertste Tänzerin von Berlin. Ich habe sie gewonnen für uns, sie wird ganz allein für uns drei tanzen … sie tanzt Chopin, Bubi!«
Heinz war völlig verblüfft. Das war alles? Darum diese Geheimnistuerei?! Was bedeutete Tanzen für ihn? Das bißchen Geschiebe in den Bars, das er in den letzten Wochen kennengelernt, dann noch ein sehr kriegsmäßiges Lämmerhüpfen auf der Penne …
»Nun schön, Erich«, sagte er. »Also Tanz. Wirklich reizend von dir. Jetzt verstehe ich auch, warum sie vorher kein Roastbeef mochte.«
Erich machte eine wütende Bewegung.
Heinz rückte in seinem Sessel zurück und sah seinen Bruder herausfordernd-überlegen an, den Bruder, der jetzt nicht mehr freundlich, sondern sehr geärgert aussah.
»Du verstehst noch nicht«, sagte Erich. »Sie tanzt nicht nur so … Sondern …« Er brach ab, sah Heinz wieder geheimnisvoll an.
»Sondern?« fragte der spöttisch und fühlte doch, der Bruder hatte ihm noch nicht alles erzählt, bewahrte wirklich noch ein Geheimnis.
»Sondern sie tanzt …«, fing Erich zögernd an.
»Es wird Zeit!« klang es plötzlich von Tinettens Sessel herüber. »Es wird Zeit …!«
Tinette saß ganz zurückgelehnt in die weite, weiche Höhlung des Sessels, der Mund war halb geöffnet, die Augen fest geschlossen. Es sah aus, als
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