Der eiserne Gustav
neben sie, er betrachtet sie, einige sind gelb, einige bläulichweiß. Sie sehen genau aus wie vor dem Kriege; es gibt also doch wenigstens etwas, das so ist wie früher … diese Krokusblüten! Die Menschen haben sich verändert, keiner kann mehr so sein wie früher. Aber die Blüten sind sich gleich geblieben. Es liegt etwas Tröstliches in diesem dummen Gedanken – er ist dumm, das weiß Heinz, aber trotzdem tröstlich. So, als werde einem das Unmögliche versprochen, daß auch die Menschen wieder werden könnten wie früher …
Heinz denkt vor den Krokusblüten flüchtig an Eva, länger an Irma …
Er versucht, sich zu erinnern, ob Irma je so ein gelbes oder bläulichweißes Kleid besessen hat … Dann gesteht er sich, daß dies alles Unsinn ist, nicht der geringsten Überlegung wert, daß er nur Zeit vertrödeln, die Unterredung mit Eva hinausschieben möchte …
Er seufzt und steht auf. Er hätte gern eine Blüte mitgenommen, aber irgendwie gehört sich das nicht. Nicht, daß er den Tiergarten respektiert, der Tiergarten ist für viele längst der Platz geworden, wo man sich mehr oder weniger offen Brennholz besorgt. Nein, aber er möchte nicht gerade jetzt bei Eva mit einer Blüte ankommen, die ihn unbestimmt an Irma denken läßt.
So geht er ohne Blüte.
Und hat recht damit getan, denn als er in ihr Zimmer tritt, sieht er, daß ihm ein anderer zuvorgekommen ist.
Eugen Bast sitzt auf der Chaiselongue, die Hand um den Oberarm seines Führers gelegt, als wäre er jeden Augenblickbereit abzumarschieren. Jedenfalls wirkt er keineswegs so hilflos, wie Heinz sich das ausgedacht hat.
Eva sieht mit weißem Gesicht von dem Koffer hoch, den sie packt, betrachtet den Bruder flüchtig, preßt die Lippen zusammen und macht sich wieder an ihre Arbeit.
Der Blinde hat beim Geräusch der sich öffnenden Tür den Kopf gewandt, er sitzt lauschend da. Wieder scheint er sich mit niemandem zu verständigen und sagt doch: »Nutte, dein Bruder is da!«
»Ja, Eugen«, sagt Eva – und aus dem Ton dieser zwei Worte schon errät Heinz, daß er all sein bißchen Einfluß auf die Schwester verloren hat.
»Nutte«, sagt Eugen wieder, und mit Erschrecken hört Heinz das halbe, freundliche Flüstern dieser falschen Stimme. »Haste deinem Bruder nischt zu sagen?«
Ein hilfloser Ausdruck tritt in Evas Gesicht, mit ratloser Angst sieht sie in das Gesicht ihres Herrn.
»Eva«, sagt Heinz. Er tritt zu ihr, faßt sie unter das Kinn und dreht ihr weißes, ratloses Gesicht so, daß sie ihn ansehen muß. »Eva! Komm mit mir! Tu nicht, was er von dir will. Er will immer nur Schlechtes, er ist böse. Laß ihn, du kannst überall leben. Ich verspreche dir, ich schaffe heute noch irgendwie das Reisegeld nach Leipzig oder nach Köln – wohin du willst. Bedenke doch, er ist blind, er kann dir nicht nach. Du kannst ihm immer ausweichen …«
Eva steht bewegungslos vor ihm, es ist ihr nicht anzusehen, daß seine Worte irgendeine Wirkung auf sie tun.
Der Blinde auf dem Sofa nickt beifällig. »Köpfchen, dein Bruder«, sagt er freundlich. »Köpfchen – hat er nich von dir, Nutte. Der Mann hat recht, ick bin blind – türme!« Er sitzt da, verzerrt den lippenlosen Mund. Das scheint sein Lachen zu sein. Plötzlich schreit er wütend: »Türme doch, Dowe! Ick kann dir nich nach!«
Eva entzieht sich des Bruders Hand. »Du sollst nicht auf Eugen schimpfen, Heinz!« sagt sie leise. »Ich geh doch mit ihm. Ich bleib bei ihm …«
»So? Bleibste das?« höhnt Eugen Bast. »Bedank dir ooch bei deinem Bruder, Evchen. Der hat uns beede doch wieder zusammenjebracht. Sach danke schön, Nutte!«
»Danke schön, Heinz …«
»Steh nich rum, Nutte, mach fertig. Jawoll, Schwager, ick wollte ihr eijentlieh loofen lassen. Se is mir wirklich zu doof, deine Schwester. Und wo se nun auch mits Schießen anjefangen hat … Ein bißken hätt ick ihr jemolken, so alle Monat, ein bißken hätt ick ihr jepiesackt, bloß, det se in Bewejung bleibt in ihre Tätigkeit …«
»Eva!« bittet Heinz. »Komm doch mit mir. Geh mit mir auf die Polizei. Es kann ja gar nicht schlimm werden für dich, Eva. Die Richter sehen doch ein, daß du gar nicht anders konntest, daß er dich gezwungen hat. Ein, zwei Jahre Gefängnis – da wird dich keiner so quälen wie er. Und dann bist du frei, du kannst noch einmal von vorn anfangen …«
Von der Schwester bekommt er keine Antwort, sie packt weiter, als habe er nichts gesagt. Eugen Bast aber fährt fort: »Wie de aber so neben mir
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