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Der eiserne Gustav

Der eiserne Gustav

Titel: Der eiserne Gustav Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hans Fallada
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ihren Hals. »Ach, ich bin ja so glücklich … Mein Herz, oh, mein Herz …«
    Und sich schnell wieder lösend: »Sehe ich sehr schlimm aus, Evchen?«
    »Schön siehst du aus!«(Buckel!) »Gut siehst du aus!« (Buckel!) »Rote Backen hast du!«(Buckel!) »Mach, daß du hereinkommst zu ihm!«
    Und sie, sie schließt die Tür auf. Und sie, sie schiebt Tutti hinein. Und sie, Eva, die Hübsche, Eva, Vaters Liebling, steht allein am Kohlensack, in der häßlichen Arbeitskleidung, und hört den Jubelschrei drinnen, und die tiefe, warme Stimme: »Ja, meine Gute, meine Süße, meine Schöne – nun bin ich bei dir …«
    Eva zerrt den Kohlensack noch auf den dunklen Vorplatz, ehe sie die Tür leise zuzieht und geht. Sie steigt langsam die Treppen hinunter, ihre Tränen fließen, sie denkt immerzu: Warum die? Warum nicht ich?!
    Sie geht über die Höfe, sie geht aus dem Haus hinaus, und dann kommt sie auf die Straße.

12

    Daß Otto Hackendahl schon am Nachmittag dieses ersten Urlaubstages seinen Vater aufsucht, liegt nicht nur daran, daß er die Aussprache möglichst rasch hinter sich bringen will. Sondern Tutti und Otto haben mit wachsender Unruhe auf Eva gewartet, aber Eva ist nicht gekommen.
    »Ich werde sie schon bei den Eltern treffen«, sagt Otto. »Wohin soll sie denn sonst gegangen sein?«
    Ja, wohin soll sie sonst gegangen sein? Tutti denkt an einen Morgen, da sie die ganz erstarrte Eva ausziehen half, ein Fuß war bis zur Wade hinauf durchnäßt gewesen! Aber sie schweigt!
    Otto geht, er geht in die Frankfurter Allee, er geht die alten Wege, die er tausendfach gegangen ist. Jetzt sieht er den grauen Bretterzaun mit dem Schild »Fuhrgeschäft Gustav Hackendahl« … So steht ein Mann im Traum erschrocken still, alles stimmt und ist doch ganz anders. So steht Otto vor Zaun und Schild, aber auf dem Schild liest er: »Heu-und Fouragehandlung Hans Bartenfeld«.
    Er sieht die hundertmal gegangene Frankfurter Allee auf und ab, als könne er sich verlaufen haben. Aber er hat sichnicht verlaufen, und als er näher kommt, sieht er, daß das Schild neu ist. Es ist also eine ganz kürzlich geschehene Veränderung, das erklärt, daß er noch nichts davon gehört hat. Vater wird den Verkauf als eine »Männersache« ganz heimlich betrieben und Mutter erst im letzten Augenblick unterrichtet haben.
    Otto tritt auf den Hof.
    Es ist noch der alte Hof, aber hinter den Fensterscheiben im ersten Stock sieht er andere Gardinen, ein anderes Frauengesicht, nicht Mutters Gesicht, sieht auf ihn herunter. In diesem Augenblick zieht sich in Ottos Herz etwas schmerzhaft zusammen. Der Sohn, der in die Fremde ging, in den Krieg zog, der weiche Sohn, der schlaffe – er hatte sich verändert, er war härter geworden, geschlossener. Und mit jeder Veränderung hatte er etwas vom Elternhaus abgestoßen, allmählich hatte er aufgehört, Sohn zu sein, er war Mann geworden. Da er nun sinnbildlich und doch klar vor Augen sah, es gab dieses Elternhaus wirklich nicht mehr, fühlte er, wie die letzte Fessel riß, er war frei! Bisher war er nur ein schwaches Anhängsel gewesen. Jetzt war er ein neuer Anfang geworden!
    Er fragt die Frau im Fenster, wohin Hackendahls verzogen sind, und nach Berliner Art fragt die Frau dagegen, ob er wohl einer von den Söhnen ist? Nun fragt Otto, ob Hackendahls schon lange fortgezogen sind, und erfährt, daß sie in der Wexstraße wohnen. Und ob er der ältere oder der jüngere sei?
    Otto bedankt sich und geht. Er sieht die Frau nicht mehr an, er sieht den Hof nicht an. Er dreht sich auch nicht nach dem Bretterzaun um, obwohl er daran denken muß, wie oft er auf Vaters Befehl, mit Eimerchen und Bürste bewaffnet, die Inschriften der umwohnenden Jugend hat beseitigen müssen vom »Ich bin dohf« bis zu »Lehrer Stark hat falsche Zehne«! Nein, er geht weiter. Es ist endgültig vorbei. Früher gehorchte er Vaters Befehl, jetzt hat er eine eigene Stimme in der Brust, jene Stimme, die ihm im Granattrichter befahl,dem wildfremden Leutnant von Ramin zu erzählen, was ihn so lange gequält …
    Otto Hackendahl geht die Frankfurter Allee entlang, er überlegt, wie er am raschesten in die Wexstraße kommt. Ihm fällt ein, daß es in jenem ganz fremden Bezirk Berlins (einer ganz anderen Stadt eigentlich) einen Ring-Bahnhof Wilmersdorf-Friedenau gibt. In seiner Nähe muß die Wexstraße sein. So kommt er am raschesten hin.
    Er geht schnell. Er kommt über den Alexanderplatz, geht zur Ringbahn, fährt. Tack-tack-tack machen die Wagen.

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