Der Eiserne Rat
Klo im Hof hinunterschaute. Er hatte Heller und Dittchen aus dem Dreck der Gosse geklaubt, sich geprügelt und die Lust entdeckt und die Wortsalven des performativen Dog-Fenn-Parlando. Die Geographie von Nigh Sump und der Nobelviertel war ihm fremd. Er fragte sich, wo Kinder hier laufen und spielen sollten. Die hoheitsvollen Häuser schüchterten ihn ein, und er hasste sie dafür.
Kiebiger Trotz wallte in ihm auf bei den Blicken der gut gekleideten Einheimischen. Die Abenddämmerung brach an. Ori tastete nach seinen Waffen.
An der Kreuzung entdeckte er seine Kameraden. Old Shoulder und die anderen ließen sich nicht anmerken, dass sie ihn kannten, aber man spazierte im gleichen Schlenderschritt unter den Weiden hindurch, die jede Straßenecke rundeten, und weiter zur Crosshatch Avenue.
Dies war eine der ergötzlichsten Gegenden der Stadt. Läden und Häuser mit Säulenportikus und Fossilienputz im Os-Tumulus-Stil. Einen Abschnitt schmückte als Front das berühmte Glasheim, eine Fassade aus jahrhundertealtem künstlerisch gestalteten Buntglas, dessen Muster verbindend über die Abgrenzungen der Häuser hinwegliefen. Ordnungshüter wachten über die zerbrechliche Kostbarkeit; kein Wagen durfte über das Kopfsteinpflaster rumpeln und womöglich Beschädigungen verursachen. Ori hatte einmal vorgeschlagen, es zu zerschmettern, als Provokation, aber sogar Toros Bande schreckte vor einer solchen Barbarei zurück. Ihre heutige Aktion stand nicht mit dem Glasheim in Zusammenhang. Old Shoulder steuerte auf ein Kontor zu.
Zeit für das ausgeklügelte Ballett, das sie in dem verlassenen Lagerhaus bis zum Abwinken eingeübt hatten: zwei Schritte, eins, zwei, Ori war auf Höhe der Tür und stieß, drei, vier, mit der Frau zusammen, Catlina. Sie versuchten, aneinander vorbeizukommen. Ori stolperte, wie geprobt. Marcus schlüpfte mit Shoulder in das Kontor, Ori und Catlina sorgten für Ablenkung, indem sie lautstark zu streiten anfingen.
Überall zischelten elyktro-barometrische Leuchtröhren, ließen das Glasheim milchig schillern und übergossen Ori und Catlina mit gespenstischer Fahlheit. Sie beschimpften sich gegenseitig, dabei behielt er über ihre Schulter hinweg die Tür im Auge, um ihr im richtigen Moment dumme Kuh an den Kopf zu werfen, für sie das Zeichen, schrill keifend die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, falls irgendjemand aussah, als wollte er einen Blick in das Kontor werfen. Dort waren die Kameraden vermutlich inzwischen dabei, die Zielperson zu verhören. Von wem hast du dich kaufen lassen?, fragte Shoulder vielleicht in diesem Moment.
Die Ordnungshüter näherten sich, doch galt ihr Interesse ausschließlich ihm und Catlina. Die Ladenbesitzer verfolgten wachsam und belustigt das Schauspiel, aus den Cafés schauten die eleganten Flaneure herüber. Ori konnte es nicht fassen. Wussten sie nichts von den Dingen, die im Gange waren? Lebte man in Nigh Sump gänzlich abgeschottet vom Zeitgeschehen?
Bald – und der Gedanke bereitete ihm Unbehagen, noch immer war er für manches nicht abgebrüht genug – würde Old Shoulder den Informanten töten. Er würde es schnell tun und ihm dann ein Mal einprägen – mit einem metallverstärkten Schlagriemen, dem Caestus, dessen eiserne Doppelzinke eine Wunde hinterließ wie ein Stiergehörn.
Ein Krieg ist im Gange, hätte Ori am liebsten geschrien. Draußen vor der Stadt. Und drinnen ebenfalls. Steht davon nichts in euren Zeitungen? Stattdessen spielte er seine Rolle.
Toro gab ihnen ihre Instruktionen, stets sachlich, keine Akte willkürlicher Grausamkeit, doch bestand kein Zweifel daran: Was notwendig war, musste getan werden. Und dies hier war notwendig. Toro hatte den Mann urplötzlich mit Verhaftungsaktionen in Verbindung gebracht, mit den Miliztürmen, mit den Greifern, die Gewerkschaftler und Aktivisten bespitzelten. Der Mann in dem Büro war ein verkappter Milizzer, ein Hinterzimmer-Konspirator, ein Nexus von Zuträgern. Old Shoulder würde so viel wie möglich aus ihm herausholen und ihn dann eliminieren.
Ori dachte an seine allererste Begegnung mit Toro.
Das Geld von Spiral Jacobs hatte den Ausschlag gegeben. Ich möchte eine Spende machen, hatte Ori gesagt und Old Shoulder wissen lassen, dass es sich diesmal nicht um Kleinkram handelte. Ich will dazugehören, hatte er betont. Old Shoulder hatte die grünen Lippen geschürzt und genickt und zwei Tage später wieder an die Tür geklopft. Komm mit. Vergiss das Geld nicht.
Über die Barley Bridge,
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