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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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er sich an eine erinnern? Ori beobachtete Legus. Toro hob die Hand, zupfte mit der gedankenlosen Zärtlichkeit von Eltern an den zarten Kinderfingerchen.
    »Du hast mir gesagt, es hat den Zweck, dass ich niemals vergesse, was ich getan habe. Ich habe es nicht vergessen.« Wieder beugte sie sich vor, und Ceciles Ärmchen streckten sich aus, nach dem Magister Legus, der die tote Hand der Bürgermeisterin umfasst hielt. Der Lärm militärischer Geschäftigkeit tönte ins Zimmer, man war dabei, sich Zugang zum oberen Stockwerk zu verschaffen. Toro zog ihren Caestus heraus. »Vor zwei Wochen hatte sie Geburtstag«, sagte sie. »Sie ist heute älter, als ich es war, bei ihrer Geburt. Mein kleines Mädchen.«
    Sie stand auf und drückte Legus den Lauf der Waffe an die Schläfe. Er umklammerte Stem-Fulchers Hand, und für einen Moment sah es aus, als wollte er etwas sagen, doch er blieb stumm.
    »Von mir«, sagte sie, ohne hörbare Wut oder Erregung. »Von den Männern, die du zu Maschinen gemacht hast, den zu Monstrositäten entstellten Frauen. Kettenpanzer, Schneckenmädchen, Zwittergäule, Industriemaschinen. Und von all denen, die in den Drecklöchern vegetieren, die du Gefängniszellen nennst. Und von denen, die auf der Flucht sind, damit du sie nicht findest. Und von mir und von Cecile – ja, ich gebe es zu, meine Hände haben es getan und damit muss ich fertig werden. Cecile wächst nicht, und sie findet niemals Ruhe. Mein Mädchen. Deshalb ist dies auch von ihr.«
    Sie hielt den Pistolenlauf an seinen Kopf gedrückt und schlug ihn einmal, dann immer und immer wieder mit dem gehörnten Caestus, und er grunzte und stieß ein blutiges Ächzen aus, und sein Gesicht verzerrte sich zur Fratze, und er hob die Hand, nicht, um sie abzuwehren, sondern wie um etwas zu greifen, nicht, um die zweizinkigen Hiebe aufzuhalten – diese nahm er hin, ohne auszuweichen, die Hand der toten Geliebten so fest umklammernd, dass ihre Finger sich spreizten. Der Schmerz zwang ihm bellende Laute zwischen den zusammengepressten Kiefern hervor, und Blut troff über seine Brust unter Toros ohnmächtigen Hieben, und noch einmal und noch einmal, als könnte sie nicht aufhören, rammte ihm die Eisenspitzen in die Gurgel, ins Herz, und über der Metzelei reckten sich haschend die Kinderhände und spielten in des sterbenden Magisters Haar.
     

     
    Ori war ein stummer, regungsloser Zuschauer, bis es vorüber war und noch lange danach. Er wartete, dass Toro sich ihm zuwandte – diese schmächtige Frau mit ihrem Südstadtakzent, ihrem alten Groll. Endlich, als sie keine Anstalten machte, sich zu rühren, nur mit gesenktem Kopf auf dem Hocker saß, während das Blut des Magisters sich zu ihren Füßen sammelte, sprach er sie an.
    »Komm«, sagte Ori. »Wir müssen weg hier.«
    Sie drehte sich zu ihm um, nach so langer Zeit, dass er schon nicht mehr damit rechnete. Ihre Augen hatten den Blick eines Menschen, der sich nach langem Schlaf bemüht zu erwachen, und sie schüttelte den Kopf, als könnte sie seine Sprache nicht verstehen. Wortlos bedeutete sie ihm, dass sie nicht die Absicht hatte, irgendwohin zu gehen, dass sie hier am Ende ihres Weges angelangt war.
    »Und, und …« War es Stolz oder Respekt, aber Ori wollte nicht, dass man ihm seine Trauer, seine Erschütterung anhörte. Er sprach erst dann weiter, als er sicher sein konnte, dass seine Stimme ihn nicht im Stich lassen würde. »Und das war der einzige Weg, ja? Wir?« Ruby, hieß das, unausgesprochen, Ulliam, Kit und die anderen da unten? Kanonenfutter, nichts weiter? Baron, Gottschiet, und Old Shoulder. Jabber weiß, wer für dich draufgegangen ist.
    Sie wies auf die tote Bürgermeisterin.
    »Das wollten sie, und wir haben es getan. Wir haben vollbracht, was sie erreichen wollten.«
    »Ja.« Ja, aber es ist nicht dasselbe. Es ist ein Nebeneffekt, der politische Aspekt diente dir nur als Mittel zum Zweck, und das ändert alles, dadurch wird alles anders.
    Wirklich? Haben wir nicht gesiegt?
    Eine nicht mehr junge Frau aus dem Arbeiterviertel im Südwesten New Crobuzons, saß vor zwei blutüberströmten Leichen. Ein junger Mann aus Dog Fenn wog unschlüssig die Pistole in der Hand und hörte, wie seine Feinde näher kamen. Alles war anders.
    »Ich will weg«, sagte er und begann plötzlich heftig zu zittern, als die Angst, lange unterdrückt, mit Macht über ihn hereinbrach. Er spürte ein Wollen in sich, zum ersten Mal wieder seit vielen Tagen. Und was er wollte, war überleben.
    »Dann

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