Der Eiserne Rat
Verteidigern am Südufer gab man die Anweisung, sich auf eine Invasion vorzubereiten, sollte die Miliz nach Osten schwenken, in Richtung der Brücke.
Sie kamen nicht über die Brücke. Sie überquerten den Fluss, und auf dem Marktplatz machten sie Halt und besetzten Gebäude (eins davon erst kurz zuvor von den Kollektivisten geräumt, deren Bestrebungen die Miliz nun systematisch zu verunglimpfen begann, indem man mit Urin besudelte Heliotypien aus den Fenstern warf).
In Griss Twist karrten die Kollektivisten uralten Sperrmüll von den Deponien heran und errichteten damit einen Verhau auf der Sheer Bridge. Badside wurde bombardiert, die verzweifelten Bewohner und die symbolischen Einheiten des Kollektivs, die zurückgeblieben waren, um bei der Verteidigung zu helfen, hatten fast keine Munition mehr. Niemand legte Wert auf den Besitz von Badside an sich, aber als Tor nach Echomire und Kelltree und zudem am Ufer genau gegenüber von Dog Fenn gelegen, dem Herzen des Kollektivs, durfte man es nicht kampflos aufgeben.
Im Nordwesten der Stadt, zu dem die Kollektivisten aus Dog Fenn keinen Zugang mehr hatten, gerieten ihre verbündeten Ortsgruppen in Bedrängnis. In Tar und Canker Wedge waren Aktivitäten im Gange, höchstwahrscheinlich Vorbereitungen für einen Angriff auf Smog Bend. Fiel diese Bastion mit ihren Maschinenfabriken und der organisierten Arbeiterschaft, war die Ortsgruppe des Kollektivs dort verloren.
Howl Barrow war ein Kinderspiel. »Einen Haufen Schwule, Tunten und Farbkleckser machen wir schneller platt, als ich mich am Hintern kratzen kann«, hatte ein gefangener Milizoffizier gesagt, und seine verächtliche Einschätzung war in den Augen der meisten eine traurige Wahrheit. Howl Barrow würde sich nicht lange behaupten können mit seinen Nuevisten-Kommandos, seinen Bataillonen aus militanten Balletttänzern, seiner berüchtigten Rosa-Rüschen-Brigade – einer Truppe Grenadiere und Musketiere, allesamt Transen-Stricher in überkandidelten Fummeln und dick aufgetragener Schminke, die sich gegenseitig im Schwulenlingo Befehle zuriefen. Erst hatte man sie mit Widerwillen betrachtet, dann mit Nachsicht, weil sie mutig und verwegen kämpften, dann mit ärgerlicher Sympathie. Niemand wollte, dass sie überrollt wurden, doch es war nicht zu verhindern.
Die Miliz nahm die Cockscomb Bridge, brach den Widerstand der Glashaus-Grenadiere und errichtete einen Vorposten am Südufer des Tar. Der nächste Schlag würde Dog Fenn treffen, das Zentrum des Kollektivs. Alle dachten es, keiner sprach es aus: Dies war der Anfang vom Ende.
In diese dunkle Stunde fiel die Ankunft von Judah, Cutter und ihren Freunden.
Kapitel 26
»Götter. Götter. Wie in Jabbers Namen habt ihr es hierher geschafft?«
In das New Crobuzoner Kollektiv kam man nicht ohne weiteres hinein und hinaus. Auf den Barrikaden herrschte Nervosität, man pflegte erst zu schießen und dann zu fragen. Patrouillen in der Kanalisation. In Anbetracht der Aeronauten des Parlaments, die auf alle Luftschiffe Jagd machten, die nicht zu ihnen gehörten, und der Kadabras, mit denen beide Seiten sich abschotteten, gestaltete das Hinein und Hinaus sich zu einem langwierigen und gefährlichen Abenteuer.
Bunt ausgeschmückte Volkssagen erzählten von dem heroischen Wachposten, der im Schutz der Dunkelheit hinausschlüpfte, um Milizzer zu meucheln, oder der Einheit von Parlamentaristen, die sich im Labyrinth der Nebenstraßen verirrten und mitten im Territorium des Kollektivs wiederfanden. Zurzeit kursierte die Mär vom Kreuzzug, den Rettern, die nahten, um all die Notleidenden und Bedrängten des Kollektivs in Sicherheit zu bringen.
Mochte man es auch kategorisch bestreiten, in Wirklichkeit herrschte eine rege Fluktuation in beiden Richtungen, möglich gemacht durch menschliche Schwäche oder Thaumaturgie. Die Stadt der Regierung steckte voller Sympathisanten des Kollektivs: in Chimer, im Industriegürtel um Lichford, Areale unter Kriegsrecht, doch Gewerkschaftler, Seditionisten und Neugierige fanden Schlupflöcher nach Dog Fenn und Creekside, baten um Einlass. Seinerseits beherbergte das Kollektiv viele, die aktiv oder passiv mit ihm haderten und bei Nacht und Nebel zur Gegenseite überliefen, oder blieben, als deren Spione.
Ankömmlinge wurden also willkommen geheißen, aber mit einem gesunden Misstrauen. Judah und die anderen kamen von Osten, durch die Trümmerwüste um die Grand Calibre Bridge. Mit Qurabins Hilfe fanden sie verborgene Schleichwege,
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