Der Eiserne Rat
die ganze Stadt.«
Sie glaubten ihm, trotzdem lachte Curdin, als Judah ihn um Hilfe bat.
»Wie stellst du dir das vor, Judah? Wir haben keine Truppen. Will sagen, haben wir durchaus, aber wer ist ›wir‹? Ich habe nicht die Befehlsgewalt über die Kräfte des Kollektivs. Wenn ich versuche, ihnen klar zu machen, was wir brauchen, würden sie annehmen – selbst jetzt noch, gottsdammich –, es wäre ein hinterhältiger Trick von einem LF ler, der versucht, das Kollektiv zu übernehmen. Ich bin kein militärischer Befehlshaber, ich habe nichts zu sagen. Oder willst du LF ler? Speziell?« Er schaute seine Faktionisten an.
»Ein paar sind noch übrig. Die Kirriko Freischärler gehören zu uns, aber wer zum Henker weiß, wie man mit ihnen Kontakt aufnimmt? Die anderen sind an der Front. Sie bemannen die Barrikaden, Judah. Was soll ich deiner Meinung nach tun? Stellst du dir vor, dass wir eine außerordentliche Sitzung einberufen und die Situation darlegen? Bei uns bröckelt es an allen Enden, Judah – jeder Bezirk kämpft für sich allein. Wir müssen uns die Miliz vom Hals halten.«
»Curdin, wenn wir nicht handeln, wird bald keine verdammte Stadt mehr da sein, und erst recht kein Kollektiv.«
»Ich verstehe.« Die Augen des Remade waren rot, als hätte man Sand hineingerieben. Er trug verschorfte Wunden an seinem grotesken Körper und sah todmüde aus. »Was soll ich tun?«
»Eine Kampfpause aushandeln, wie in einem wirklichen Krieg. Dass eine Zeit lang die Waffen schweigen.
Damit die Stadt überlebt.«
»Ich habe verstanden, Judah. Was sollen wir tun?«
»Es muss jemanden geben, einen Thaumaturgen, einen von den Raravis …«
»Ich weiß, wer das ist, mit den Spiralen«, meldete sich eine Stimme.
»Vielleicht gibt es welche, die sich darauf spezialisiert haben, aber die muss man erst einmal finden. Und schau mich nicht so an, Judah. Natürlich werde ich tun, was ich kann, aber ich weiß nicht, an wen ich mich wenden soll. Wir sind am Ende, keiner gibt mehr Befehle.«
»Ich weiß, wer das ist, mit den Spiralen. Ich kenne den, der die Spiralen malt.«
Endlich konnte sie sich Gehör verschaffen, die junge LF lerin.
»Wer die Spiralen malt. Wer etwas beschwört. Den Saboteur der Teshi.«
»Woher?«, fragte Judah. »Wer ist es?«
»Ich kenne ihn nicht selbst, aber ich kenne jemanden, der ihn kennt. Er war früher einer von uns, ein LFler, oder beinahe. Ich kenne ihn aus unseren Versammlungen, Curdin. Du kennst ihn auch. Ori.«
»Ori? Der zu Toro gegangen ist?«
»Ori. Er ist immer noch bei Toro, glaube ich. Man nimmt an, dass Toro für Stem-Fulchers Ermordung verantwortlich ist. Geholfen hat es nichts. Danach war er verschwunden, aber neuerdings ist er wieder gesehen worden. Vielleicht ist Ori bei ihm. Vielleicht kann Ori Toro überreden, uns zu helfen.
Ori weiß, wer in der ganzen Stadt die Spiralen malt. Er hat es mir gesagt.«
Kapitel 27
Toro war ein Hund geworden, ein dummer, geprügelter Hund, der hinter einem Herrn herlief, den er hasste, doch nicht verlassen konnte. Ori betrachtete es so.
Wir haben es geschafft!, hatte er geglaubt. Ein kurzer Triumph, er währte gerade einmal bis zum nächsten Morgen. Bei aller Erschütterung über die wahren Motive der Frau hinter Toros Maske und der Enttäuschung darüber, ein Werkzeug gewesen zu sein, trotz der Entfremdung von der Bewegung, die ihm eine Zeit lang als ideologische Heimat erschienen war, hatte er die Ermordung der Bürgermeisterin stolz als den großen Katalysator betrachtet.
Daran hatte er sich einige Stunden lang geklammert, die Augen vor den Gegenbeweisen verschlossen: die Aufständischen, die nicht wussten, dass Stem-Fulcher tot war, die es mit grausamer Genugtuung zur Kenntnis nahmen, aber nicht den Anschein erweckten, dass sie dieser Nachricht als Ansporn bedurften, zur Beflügelung ihres Kampfesmuts. Davon hatten sie zur Genüge, in diesen ersten Tagen der Rebellion, unabhängig von den Aktionen der Toroaner. Ein paar Stunden bei den Kämpfern des Kollektivs, und Ori hatte gewusst, dass das Attentat gegen die Bürgermeisterin von Anfang an ohne Bedeutung für den Gang der Ereignisse gewesen war.
Ori/Toro stemmte sich mit seinem Helm gegen die Welt und riss ihr eine Wunde und zwängte sich hindurch. Entfernungen waren kein Hindernis. Verdrossen wechselte er zwischen der Stadt des Parlaments und der des Kollektivs hin und her, ungehindert von den Fallen und Barrikaden, die das eine vom anderen trennten. Er
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