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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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eine Meile entfernt, für Kampfgetöse längst taub geworden, hielten bei seinem Gebrüll verwundert inne. Ori konnte den alten Mann nicht verletzen.
    Spiral Jacobs war betrunken. Er war ein Penner. Nur war er darüber hinaus noch etwas anderes.
    Schließlich entfernte er sich mit langsamen, tapernden Schritten, und Toro blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen wie ein Hund. Jacobs war ins Zentrum von New Crobuzon gewandert, sein Ziel waren die Hallen des Bahnhofs Perdido Street, und Toro ging hinter ihm her. Ori sah sich dazu verurteilt, Fragen zu rufen, auf die Spiral Jacobs keine Antwort gab.
    »Was hast du getan?
    Warum ich?
    Und die anderen? Was sollten sie für dich tun? Was heckst du wirklich aus?«
     

     
    Das Kollektiv. Es war eine Erneuerung.
    Anfangs, in dem Wirrwarr von Ressentiments, Gewalt, Überraschung und Möglichkeiten, Rachegelüsten, selbstlosen und niedrigen Motiven, Notwendigkeiten, Chaos und historischer Bedeutung, während der ersten Gehversuche des New Crobuzoner Kollektivs, waren nicht wenige gegen eine Beteiligung der Remade gewesen. Unter dem Druck der Erfordernisse hatten die meisten ihre Meinung geändert.
    Das Tempo war atemberaubend gewesen. Man fühlte sich von den Ereignissen, die man selbst ausgelöst hatte, überrollt. Die Miliz zog ab, verließ die Wehrtürme, die Wahrzeichen des Machtanspruchs, auf dem Territorium des Kollektivs. Kein Verkehr mehr an den Gleistrossen. Plünderer hausten in den Türmen, desertierte Soldaten holten ihre Waffen aus den Verstecken, und ein altes Wort erfuhr eine Umwertung. Anlässlich einer Rede vor den Streikenden der Turgisadi-Gießerei winkte ein Agitator des Gremiums den Remade-Arbeitern, sich zu den versammelten Kollegen zu gesellen, und rief: »Wir unterziehen die ganze verdammte Stadt einem Remaking – und wer kennt sich damit besser aus als ihr?«
    Ori wusste, seine Freunde von früher, seine alten Weggefährten, würden dabei sein, wenn das Volk sich erhob. War er als Toro nicht förmlich berufen, ihnen beizustehen? Was konnte er nicht leisten für das Kollektiv!
    Er war nicht dazu im Stande. Ori war gebrochen. Er hatte zu nichts mehr Kraft, außer Spiral Jacobs zu suchen und ihm zu folgen, Nacht für Nacht, getrieben von dem Gefühl, er könne erst dann wieder er selbst sein, wenn er mit ihm gesprochen und erfahren hatte, was er im Schilde führte.
    »Wo sind die anderen?«, fragte er. »Haben wir das alles für dich getan? Weshalb sollten wir die Bürgermeisterin töten?« Jacobs schwieg, ging seiner Wege, als hätte er nichts gehört. Zu welchem Zweck schürt er Chaos?
    Ori gelang es stets, ihn aufzuspüren. Für Toros Augen leuchteten die Spiralen. Ori war nur mehr ein Schatten seiner selbst.
    »Ich mache mir Sorgen um dich, Schätzchen«, meinte seine Zimmerwirtin. »Du richtest dich zu Grunde, das sieht man mit bloßem Auge. Isst du vernünftig? Schläfst du genug?«
    Er konnte nicht reden, lag tagelang auf seinem Bett, aß, was sie ihm brachte, bis seine Unruhe zu groß wurde und er sich als Toro wieder auf die Suche nach Spiral Jacobs begab. Darauf war sein Leben zusammengeschrumpft. Allnächtliche Wanderungen auf den Spuren des alten Mannes.
    Er folgte ihm in seiner Maske als Stier, wechselte hin und her zwischen der realen Welt und Toros Dimension. Irgendwann auf diesen freudlosen Streifzügen bemerkte er etwas Seltsames an den Wegen, auf denen der alte Mann sich durch die Stadt bewegte. Er setzte den Helm ab. Spiral Jacobs nahm keine Notiz davon.
    Ori folgte ihm ohne Toros Thaumaturgie, und dennoch pendelten sie unerklärlich zwischen Vierteln unter der Kontrolle des Parlaments und solchen in der Hand des Kollektivs. Unter Gaslaternen, im grellen Licht elyktro-barometrischer Röhren, ging Spiral Jacobs mit seinen schleppenden Altmännerschritten auf Straßen aus nachtfleckigen Ziegeln, dunklem Beton, schwarzem Holz und Eisen, hinter sich, wie an einer unsichtbaren Leine, Ori, den planlosen Pilger.
    Jacobs begann seine nächtliche Stör vielleicht in Aspic, an der Grenze des Kollektivs, tappte an Nachtwachen vorbei, stets zu mehreren unterwegs, und unter einem Fachwerkbogen hindurch. Bog dahinter vielleicht in eine rußschwarze Gasse zwischen Gebäuderückseiten ein, ging durch den Schatten von Bäumen und der Türmchen über dem Portal von Heiligenschreinen, und nach einer weiteren Biegung entließ die Enge ihn und seinen Begleiter möglicherweise in die Straßen von Pincod. Ein Spaziergang von zwei Minuten, aber mehr als

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