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Der Eiserne Rat

Der Eiserne Rat

Titel: Der Eiserne Rat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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vier Meilen entfernt vom Ausgangspunkt.
    Ori folgte Jacobs, der die Geographie der Stadt nach Belieben knickte und faltete. Für ihn war nur einen Katzensprung entfernt, was in Wirklichkeit weit entgegengesetzt lag. Später, allein, versuchte Ori die Route nachzuvollziehen und konnte es nicht.
    Von Flyside nach Creekside, von Salacus Fields nach St. Jabbers Mound, machte Spiral Jacobs sich die Stadt passend. Wie selbstverständlich platzierte er diesen Park neben jenem Gebäudekomplex, bewirkte, dass eine verschlafene Wohnstraße (stets waren im fraglichen Moment keine Passanten unterwegs) sich der Realität spottend durch separate Stadtteile schlängelte. Er bewerkstelligte sein Kommen und Gehen zwischen den feindlichen Zonen, ohne Barrikaden zu sehen oder Miliz, und Ori folgte ihm und flehte um Antworten, und manchmal schoss er in seiner ohnmächtigen Wut auf den alten Mann oder stach mit dem Messer auf ihn ein, und immer traf er nur Luft.
     

     
    Ich versinke. Ori war sich dessen bewusst. Ich sitze in der Falle. Irgendetwas zerstörte ihn langsam von innen: Seine Gedanken drehten sich im Kreis, er fühlte sich krank, sein Gemüt war verdüstert. Inmitten dieses Aufschwungs, dieser Umwälzungen, dieser Erneuerung der Stadt, war er, der sich wie kaum einer danach gesehnt hatte und nun frohlocken sollte, unfähig, sich zu freuen, weinte, lag tagelang im Bett. Etwas stimmt nicht mit mir.
    Zu nichts anderem konnte er sich aufraffen, als Jacobs auf seinen Missionen zu begleiten. Die andere Zeit saß er allein in einer Ecke; manchmal weinte er. Er fühlte sich niedergedrückt von einer Zentnerlast, gleichzeitig veränderte sich die Lage in der Stadt, wurden die ersten Tage – des Enthusiasmus, des Aufbaus, der Diskussionen und Straßenversammlungen – zu Tagen des Schmerzes, der Verluste, der Bedrängnis, der Angst, der Ahnung des Untergangs.
    Im Kollektiv bereitete man sich auf den Endkampf vor, und man wusste, dass dieser bevorstand. Ori lag im Bett und durchstreifte die von Gewalt beherrschten Straßen und sah, wie die anfängliche Ausbreitung des Kollektivs zum Erliegen kam und dann die Umkehrung einsetzte. Sah, wie die Miliz die Stadt zurückeroberte. Jede Nacht musste eine weitere Barrikade aufgegeben werden. Die Miliz nahm die Öfen an der Pigsty Street, die Stallungen der Helianthus Avenue, die Arkaden in Sunter. Das Kollektiv schrumpfte. Ori, Toro verkroch sich in seinem Zimmer.
    Ich sollte es jemandem sagen, dachte er. Spiral Jacobs ist ein Unglücksbringer. Er fügt uns Schaden zu. Doch er blieb untätig.
    War die Stadt voll von Jacobs’ entlassenen Handlangern? Verwirrten Männern und Frauen, die ihre Aufgabe nicht hatten zu Ende bringen können, deren Arbeit für Spiral Jacobs unterbrochen worden war, ehe sie wussten, dass sie benutzt wurden oder wozu? War es besser oder schlimmer, erfolgreich gewesen zu sein?
    »Halblang, halblang«, sagte Spiral zu ihm, bei einem ihrer nächtlichen Ausflüge. Des alten Mannes Wandmalereien wurden verwirrender, perspektivisch verschlungen. Ori war sein Schatten, bedrängte, beschwor ihn fast weinend: »Wozu hast du mich gebracht, was tust du, was hast du getan?«
    »Halblang, halblang.« Jacobs sagte es nicht unfreundlich. »Das Werk ist fast vollbracht. Wir brauchten ein wenig Spektakel, eine Ablenkung, um die Leute zu beschäftigen. Nun ist es bald soweit.«
     

     
    Bei seiner Heimkehr wurde Ori erwartet. Da waren Madeleina di Farja, Curdin, den er seit Monaten nicht mehr gesehen hatte, Remade und ein gebrochener Mann, sowie eine Gruppe von fremden Männern und Frauen.
    »Wir müssen mit dir reden«, sagte Madeleina. »Wir brauchen deine Hilfe. Es geht um deinen Freund Jacobs. Wir müssen ihm das Handwerk legen.«
    Darauf brach Ori in Tränen aus, weil ihm ein Stein vom Herzen fiel, weil noch jemand zu dieser Erkenntnis gelangt war, ohne ihn. Nun würde etwas getan werden, und er musste es nicht allein tun. Er war so müde. Wie er sie da vor sich stehen sah, bewaffnet, ruhig, entschlossen, ohne den Ausdruck von Angst, der in diesen letzten Tagen die Gesichter beherrschte, fühlte er, wie etwas in ihm sich danach sehnte, zu ihnen zu gehören.

 
Kapitel 28
     
     
    Ein Furagetrupp in gefährlicher Mission bewegte sich durch die Straßen zwischen Aspic und dem Sobek-Croix-Grün. Der Park war ein Todesstreifen, besiedelt von geflohenen Gefängnisinsassen und den Abweichlern von Splittergruppen. Er gehörte weder zum Territorium des Kollektivs noch zu dem des

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