Der Fall Carnac
flatterten. Dann Kikri, der mit großen Schritten durch die Mitte des Zimmers lief, die Halskrause gesträubt, den Schnabel bereit, zuzuhacken. Von Zeit zu Zeit stieß er einen Alarmschrei aus, wie es die Hähne tun, wenn sie spüren, daß dem Hof Gefahr droht.
Schon beugten sich Peter und Ludwig aus dem Fenster.
»Sie haben einen Laden aus den Angeln gerissen. Dort liegt er, auf der Erde.«
»Und was ist das da, an der Mauer?«
»Eine Fensterscheibe.«
Peter untersuchte die Fensterrahmen.
»Sie haben die Scheiben herausgeschnitten, um das Fenster zu öffnen.«
In diesem Augenblick erschien Gerhard im Schlafanzug, die Haare hingen ihm wirr in die Stirn.
»Sind sie gekommen?« fragte er.
In seiner Stimme klang tiefe Enttäuschung.
Inzwischen ging Anne durch den Salon und untersuchte jedes Stück.
»Sie haben nichts mitgenommen!« sagte sie nach einer Weile. »Es fehlt nichts.«
»Sie haben keine Zeit gehabt«, entgegnete Ludwig. »Kikri muß sie überrascht haben.«
Kikri, der sich beruhigt hatte, lief hin und her und blieb bisweilen stehen, um sich den Schnabel mit dem Fuß zu kratzen.
Endlich sprang er mit flatternden Flügeln auf die Anrichte und von dort auf seinen Platz im Geschirrschrank, genau an die Stelle, wo er am Abend gesessen hatte, links in dem Fach, das ihm als Schlaf quartier diente.
»Line«, rief Peter plötzlich, »warum hast du uns denn nicht geweckt? Wenn wir dagewesen wären, hätte nichts passieren können.«
»Ich hatte den Wecker auf Mitternacht gestellt«, sagte Anne, »aber wir haben ihn nicht gehört.«
»So sind die Mädchen!« erwiderte Peter. »Man kann sich nie auf sie verlassen.«
»Jetzt ist wohl nicht die Zeit zu streiten«, sagte Line. »Wir wollen lieber die Gendarmerie anrufen.«
»Nein!« erwiderte Anne entschieden. »Wenn wir die Gendarmerie rufen, steht morgen alles in den Zeitungen, und Mama gibt ihre Stellung in der Klinik auf und kommt sofort hierher. Schließlich haben die Einbrecher ja nichts weggenommen. Es ist nichts gestohlen.«
»Weißt du das genau? Sieh noch mal richtig nach!« sagte Peter.
»Das ist ganz einfach. Hier habe ich die Liste, sie liegt noch auf dem Leuchtertisch.«
Und tatsächlich fehlte kein einziges Stüde von den auf der Liste aufgeführten Gegenständen, und auch die Teller an der Wand waren noch alle da, ebenso die beiden kleinen Bilder zu beiden Seiten des Geschirrschranks.
Achtes Kapitel
Vom Kirchturm in Carnac läutete es vier.
Der Himmel über den Bäumen wurde blaß. Noch eine Weile, und es war heller Tag.
Die Kinder standen unschlüssig vor dem beschädigten Fenster. Wer weiß, vielleicht hatten sich die Einbrecher im Schatten versteckt, keine zehn Schritte vom Haus?
Peter schloß das Fenster. Um den Fensterladen konnte er sich später kümmern.
»Es müßten Fingerabdrücke dasein«, sagte Ludwig. »Wollen wir sie nicht in ihrem Zelt überfallen?« schlug Gerhard vor.
Niemand antwortete ihm. Alle dachten an die beiden Männer im Zelt, aber die Vorstellung, den Schutz des Hauses zu verlassen, erschien keinem angenehm.
So schwiegen sie.
Nach einer Weile' suchte Peter nach Fußspuren auf dem Parkett.
Line überlegte. Irgend etwas stimmte nicht an dieser Geschichte. Sie wußte nicht, was es war, aber sie spürte, daß eine ganz einfache Erklärung alles verständlich machen mußte. Die Erklärung würde so einfach sein, daß es ihnen allen wie Schuppen von den Augen fallen mußte. Und doch kam niemand darauf!
Ihr Blick lief durch den ganzen Salon, blieb auf jedem Gegenstand haften, wanderte zum Fenster und kehrte zu Kikri zurück, der immer noch in dem Geschirrschrank saß.
»Wenn Kikri reden könnte!«
Die Jungen hockten auf allen vieren und untersuchten den Fußboden Zoll für Zoll.
»Wenn Spuren da waren«, bemerkte Anne, »habt ihr sie längst weggewischt.«
»Das stimmt«, erwiderte Peter und erhob sich. »Wir sind Esel.«
Kaffeeduft, Geruch von geröstetem Weißbrot, sahnige Milch, die Sonne und der Gesang der Vögel: ein Morgen wie alle anderen in der Überholwerft.
Die Jungen hatten ihre Gelassenheit wiedergewonnen und zogen auf Kundschaft hinaus in den Park. Die Männer und das Zelt waren verschwunden. Natürlich! Das Gras ein wenig plattgedrückt, die Löcher der vier Zeltpflöcke, das war alles.
Die andern waren auch herausgekommen. Ebensowenig fand sich vor dem Fenster. Der mit Kies bedeckte Boden nahm keine Abdrücke an.
Der abgerissene Fensterladen lag neben der an die Mauer
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