Der Fall Sneijder
auf, um die Hündin von allen Seiten zu begutachten. Sie ließ diese Prüfung mit Nonchalance über sich ergehen. Bevor ich auf den hinteren Sitzreihen in meineNarkolepsie gefallen war, hatte ich bemerkt, dass die Handler an dieser Stelle der Prüfung das Tier mit straff gespannter Leine vorführten und ihm mit der freien Hand zusätzlich den Schwanz anhoben. Gewiss hätte ich genauso vorgehen müssen. Doch da mir diese Haltung lächerlich und Charlies Schwanz außer Reichweite, am anderen Ende der Welt zu sein schien, begnügte ich mich damit, von einem Fuß auf den anderen zu treten und mein glasiges Lächeln darzubieten, das seinen betäubenden Alkaloidgeruch verströmte. Mit meinem abgenutzten Tweed, der durchhängenden Leine und dem phlegmatischen Hund verkörperte ich gewiss den Archetyp des aufsässigen Handlers.
Als das Jurymitglied mit seiner Körpervisitation fertig war, verließen Charlie und ich den Ring mit derselben Lässigkeit. Und gegen jede Erwartung – aus einem Impuls heraus, der gegen die Etikette verstieß – begann das Publikum Beifall zu klatschen. Bei jedem weiteren Schritt, den wir taten, nahm der Applaus zu. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, womit wir das verdient hatten. In der Ferne sah ich Bréguet wild gestikulieren. Ich war da, und zugleich sehr weit weg. Charlies weißer Schwanz wedelte von rechts nach links, und ich lächelte, friedlich, ruhig, nur eine Taulänge vom nächsten Schlummer entfernt. Ich ahnte, dass all dies bald vorbei wäre, dass eine andere Welt aus kalter Asche und eisigen Aufzügen auf mich wartete und niemand mehr Beifall klatschen würde.
Während die Jury sich beratschlagte, hörte ich Bréguets Stimme in meinen Ohren gellen. Wie glatte Aale wanden sich seine Hände in der Luft. Da ich nicht mehr begriff, was sich abspielte, denke ich, dass ich einen Augenblick weggedämmert sein musste. Dieses Mal wurde ich von Bréguets Freudenschreiengeweckt. Er brüllte: »Ich wusste es. Ich habe es Ihnen ja gesagt, ich wusste es!« Er schob mich mit der Hündin aufs Podium, wo wir unter den Vivat-Rufen der Menge unseren Preis abholen sollten, den ersten. Es war kein Pokal. Auch keine Glasarbeit. Auch keine Vase. Aber etwas in der Art. Man übergab mir etwas Goldenes, halb Hundenapf, halb Salatschüssel, mit einer pompösen Gravur auf der Rückseite: »Grand Prix de Montreal«. Im Trancezustand, vor Glück wie verwandelt, schüttelte Bréguet mir die Hände und wiederholte für alle, die es hören wollten: »Ich bin der Halter des Hundes, ich habe ihn gezüchtet.« Ich hatte wieder mit Charlie in den Sitzreihen Platz genommen, und so warteten wir einer neben der anderen auf unseren Herrn. Ich versuchte, so lange wie möglich das Lächeln zu wahren, aber der Schlaf glättete mir ein weiteres Mal das Gesicht.
Bréguet weckte mich. Er umarmte mich. Seine Lippen berührten meine Wangen, er stieß kleine Cowboyschreie aus. Der Psychoanalytiker war verrückt geworden. Verrückt vor Freude. In dem Lexus, der mich nach Hause fuhr, hörte ich ihn wie aus der Ferne Selbstgespräche führen.
»Sie sind großartig gewesen, Paul. Groß-ar-tig. Klasse, Haltung, Lässigkeit. Und die Hündin, göttlich. Sie sah aus wie eine Königin. Schon bei ihrem ersten Schritt wusste ich, dass wir gewonnen hatten. Sie, ich und dieser Hund, ich kann Ihnen garantieren, dass wir noch Großes erreichen werden. Wir werden alles abräumen. In drei Monaten findet der große Wettbewerb von Toronto statt. Wir fahren dorthin und mischen den Laden auf. Jetzt darf ich Ihnen ja beichten, dass Sie mir einen gehörigen Schrecken eingejagt haben, als Sie fünf Minuten vor dem Aufruf im Vollrausch dalagen. Ichwerde meinem Freund sagen, dass er die Dosis etwas übertrieben hat. Nächstes Mal reduzieren wir sie. Verflucht, ich fühle mich pudelwohl! Seit Jahren habe ich mich nicht mehr so wohl gefühlt!«
Er parkte das Auto vor meinem Haus und begleitete mich zum Eingang. Ich wankte vor Müdigkeit. Anna, die uns offensichtlich gesehen hatte, öffnete die Tür. Als er sah, dass ich mit meinem ewigen Lächeln auf den Lippen stumm dastand, stellte Bréguet sich kurz vor:
»Ich bringe Ihnen Ihren Mann zurück. Er ist absolut umwerfend gewesen. Und wir haben gewonnen.«
»Was haben Sie gewonnen?«
»Den ersten Preis. Den Pokal des Grand Prix de Montreal.«
»Sind Sie Züchter?«
»Keineswegs, ich bin Psychoanalytiker.«
Ich fühlte mich wohl. Trotz der Opiate war ich noch klar genug, um zu merken, dass der Boden
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