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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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als konnte nur ein entlegener Winkel des zerrissenen Europas neuer Frömmigkeit einen Platz bieten. Da die Mitglieder der neuen Bewegung in Kommunen lebten, wurden sie von ihren Nachbarn die Brüder des gemeinsamen Lebens genannt, obwohl sie sich selber einfach als »die Frommen« bezeichneten. Ihr Ziel war es, die direkte Einheit mit Gott zu finden und durch Predigten und gute Werke eine fromme Laiengesellschaft zu schaffen. Sie waren keine Extremisten wie die früheren Brüder des freien Geistes, sondern einfach, wie sie sagten, »religiöse Menschen, die versuchten, in der Welt zu leben« – womit sie die laizistische Welt meinten im Gegensatz zur klösterlichen. [Ref 372]
    Auch wenn die Bewegung klein und begrenzt blieb – aus ihr sollte bald das meistgelesene Werk des Katholizismus nach der Bibel hervorgehen: Von der Nachfolge Christi von Thomas a Kempis. Im Jahre 1380 wurde er in Kempen am Niederrhein als Sohn eines Bauern geboren. Seine offenbar gebildete Mutter unterhielt eine Schule für die jüngeren Kinder der Stadt. Mit zwölf Jahren trat Thomas von Kempen – oder a Kempis, wie er später genannt werden sollte – in eine Schule des gemeinsamen Lebens in Deventer ein, lebte und studierte mit ihren Schülern und schloß sich dann einem mit den Brüdern verbundenen Augustiner-Mönchskloster an, indem er den Rest seiner 91 Jahre lebte. Er liebte Bücher und die Beschaulichkeit und schrieb ein langes rhapsodisches Werk über das Thema, daß diese Welt nur Blendwerk und das Königreich Gottes im Inneren des Menschen sei; daß das innere geistige Leben eine Vorbereitung auf das ewige Leben sei. Was er immer und immer wieder sagte, war, daß ein Leben der Sinne wertlos sei, die Reichtümer, Genüsse und die Macht dieser Welt – die Dinge, die die meisten Menschen ersehnen und nur selten gewinnen – ihnen nichts nützen, sondern nur ein Hindernis auf dem Weg zum ewigen Leben seien; daß der Pfad zur Erlösung in der Lossagung von irdischen Bedürfnissen und in dem beständigen Kampf gegen die
Sünde liege. Der Mensch ist, sagt a Kempis, »mit der Neigung zum Bösen« geboren, die er besiegen muß, um gerettet zu werden; das Gute liegt im Handeln, nicht im Wissen – »ich möchte den Zwang zum Handeln lieber empfinden, als ihn definieren zu können«; nur die im Geiste Demütigen leben in Frieden – »es ist viel sicherer, in Unterordnung als in der Autorität zu leben«; etwas zu erstreben heißt, »unverzüglich beunruhigt« zu sein; der Mensch ist nur ein Pilger in seinem Leben, die Welt ist das Exil, die Heimat ist bei Gott.
    Nichts davon war neu oder bemerkenswert. Von der Nachfolge Christi war, was der Titel ausdrückte: eine Nachahmung der Botschaft Christi, ein Trost für die Niedrigen, die Mehrheit der Menschheit, eine neue Versicherung, daß ihre Belohnung im Jenseits ihnen gewiß sei. Lange Zeit, nachdem Thomas’ Buch erschienen war, wußte man so wenig über seinen Autor, daß viele annahmen, daß Johann Gerson der Bacon hinter diesem unbekannten nördlichen Shakespeare sei. [Ref 373]
     
    Im Jahre 1391 erregte Gersons Einrede gegen den Weg der Tat große Aufmerksamkeit am französischen Hofe. Da ihm bewußt gewesen sein muß, daß seine Vorgänger nach ähnlichen Versuchen im Gefängnis gelandet waren, nahm er in der energischen Verfolgung seiner Ziele ein großes Risiko auf sich, aber als Burgunder hatte er den Herzog als Schirmherrn hinter sich, was seine lange Predigt von der Morgenstunde bis zum Abendgebet vielleicht überhaupt erst möglich machte. Er empfahl der Krone dringend, dem Voie de Fait mit seinem »zweifelhaften Kampf und Blutvergießen« abzuschwören, riet statt dessen, sich lieber auf vermehrte Gebete und Bußprozessionen zu verlegen. In einem vorsichtigen Tadel beklagte er, daß die Universität mit ihrem Vorschlag eines Kirchenkonzils zum Schweigen verurteilt worden war, »denn ich habe keinen Zweifel, daß, wenn Ihr besser gewußt hättet, was Eure demütige und fromme Tochter, die Universität von Paris, zu diesem Thema zu sagen wünschte, Ihr dem bereitwillig zugehört hättet und daraus großer Nutzen gekommen wäre«.
    Kühn deutete er an, daß das Wohlergehen des Papsttums dem Wohlergehen der christlichen Gemeinde unterzuordnen sei und
daß es »untragbar« wäre, wenn der Heilige Stuhl, der zum Wohl der Kirche begründet worden sei, das Werkzeug ihres Ruins würde. Er erinnerte an Ludwig den Heiligen, Karl den Großen, Roland und Oliver und die Makkabäer, um Karl

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