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Der ferne Spiegel

Der ferne Spiegel

Titel: Der ferne Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Tuchman
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VI. zu bewegen, die Schande des Schismas zu beseitigen, eine Aufgabe, die Gerson ohne zu zögern als wichtiger denn die Kreuzfahrt gegen den Islam erklärte. »Was kann größer sein als die Einheit der Christenheit? Wer könnte dies besser leisten als der Christlichste König?«
    Auch materialistischere Einwände als der Gersons blockierten den Weg der Tat vorläufig. Frankreich konnte nicht ohne ein Bündnis oder zumindest ohne die wohlwollende Neutralität von Florenz und Mailand einen Feldzug in Italien führen, eine Aussicht, die deutlich durch die Tatsache eingeschränkt war, daß die beiden Stadtstaaten miteinander im Krieg lagen. Beide hatten ihre Fürsprecher in Frankreich. Mailand wurde von Valentina Visconti vertreten, der Frau Ludwigs von Orléans. Ludwig träumte davon, sich das versprochene Königreich Adria anzueignen, das ihm als Belohnung für die französische Unterstützung aus dem Besitz der päpstlichen Staaten zusammengestellt werden sollte. Dieser Traum hing direkt vom Wohlwollen und damit dem Reichtum Mailands und der Unterstützung von Ludwigs Schwiegervater ab. Aber Gian Galeazzos Interessen waren zweischneidig. Er war für ein Königreich Adria in befreundeten – das hieß französischen – Händen, während er aber zugleich einer Machtentwicklung Frankreichs in Italien mißtrauisch gegenüberstand. Er wollte Frankreichs Hilfe gegen Florenz, aber er wollte sich nicht offen für Klemens VII. erklären und sich auch nicht auf den Weg der Tat festlegen. Während er zwischen diesen Untiefen hindurchsteuerte, mußte er die florentinische Liga gegen Mailand vereiteln und den Staatsstreichsplänen von Bernabòs verschiedenen Söhnen und Verwandten zuvorkommen. [Ref 374]
    In Neapel verbreitete sich das Gerücht, daß der König von Frankreich und der Gegenpapst Klemens mit einer großen Armee nach Rom ziehen wollten, um die Kirche wieder zu vereinigen. Klemens selbst war sich des Unternehmens schon so sicher, daß er transportable Altäre, Reitsättel, Packsättel, Decken und die Ausrüstung für den großen Umzug in Auftrag gab. Alarmiert bat Papst
Bonifatius IX. die Engländer, die Franzosen abzulenken. Dies wurde nicht durch die Drohung eines neuen Feldzugs, sondern durch ein Friedensangebot erreicht. Englische Gesandte kamen im Februar 1391 nach Frankreich, um Gespräche für eine endgültige Friedensregelung anzubieten. Coucy und Rivière wurden beauftragt, mit den Engländern zu verhandeln, sie zu bewirten und »ihnen Gesellschaft zu leisten«. Um die Ernsthaftigkeit ihrer Mission zu unterstreichen, sagten die Gesandten, daß Lancaster und der kriegerische Gloucester, die Onkel König Richards II., die Engländer bei den Verhandlungen vertreten würden. Frankreich konnte die historische Gelegenheit nicht auslassen, auch wenn dies bedeutete, daß der italienische Feldzug verschoben werden mußte – was natürlich die Absicht der Engländer gewesen war. Die Verhandlungen wurden für Ende Juni geplant und der Marsch nach Rom fürs erste ausgesetzt.
    Als der Juni kam, ließen sich die Engländer, deren ursprüngliches Ziel bereits erreicht war, auf keine Friedensregelung mehr ein. Auf ihre Bitte wurden die Verhandlungen um weitere neun Monate verschoben. Die Ratgeber der englischen Krone waren in Wahrheit tief zerstritten. König Richard und seine zwei älteren Onkel, Lancaster und York, waren für den Frieden, während der unnachgiebige Thomas von Gloucester [Ref 375] uneingeschränkt dagegen war. Seit sein Vater in Frankreich ohne Haß gekämpft hatte, war das Empfinden einer über die Nationengrenzen hinausgehenden ritterlichen Gemeinschaft verschwunden. Gloucester, der jüngste Sohn, war der festen Überzeugung, daß die Franzosen perfide und hinterlistig seien, daß sie die Engländer durch undurchschaubare juristische Spitzfindigkeiten und zweideutige Sprachregelungen um die im Vertrag von Brétigny festgeschriebenen Gewinne betrogen hätten. Er weigerte sich, Frieden zu schließen, bis sie »alle solchen Städte, Ortschaften, Ländereien und Lehen« zurückgaben, die sie zu Unrecht genommen hätten, ganz zu schweigen von den 1 400 000 Franken, die sie noch immer für König Johanns Lösegeld schuldig waren.
    Der wirkliche Grund für Gloucesters Haltung lag tiefer. Im wesentlichen waren er und die Freiherren seiner Partei gegen den Frieden, weil sie das Gefühl hatten, daß ihr Beruf der Krieg sei.
Hinter ihnen standen die ärmeren Ritter, Knappen und Bogenschützen von England, die,

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