Der Finger Gottes
nie Schwierigkeiten mit den Vandenbergs.«
»Und ich hatte nie etwas mit ihnen zu tun«, erwiderte Brackmann kalt. »Sie sind für mich Leute wie alle anderen auch. Mir ist auch scheißegal, ob sie in Geld schwimmen oder nicht! Mir geht es um Gerechtigkeit. Sonst hätte ich auch einen anderen Beruf wählen können.«
»Schon gut, schon gut. Tun Sie, was Sie glauben, tun zu müssen. Aber ich bitte Sie darum, ein wenig Rücksicht auf die Menschen hier zu nehmen. Die meisten sind nach der letzten Nacht schon gebeutelt genug.«
Brackmann stand auf und stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch. Seine nächsten Worte kamen sehr leise, fast flüsternd, doch mit einem drohenden Unterton: »Ich weiß nicht, warum Sie versuchen, mich zu beeinflussen. Aber ich werde immer sicherer, daß der Sumpf in dieser Stadt viel tiefer und dreckiger ist, als ich bis eben noch angenommen habe. Wenn ich nur wüßte, was in dieser niedlichen kleinen Stadt vor sich geht. Nach welchen Spielregeln wird hier gespielt? Vielleicht erklären Sie sie mir einmal, ich kenne sie nämlich nicht! Aber ich würde gerne versuchen, sie zu lernen.«
»Seien Sie vorsichtig, Brackmann«, sagte Engler eindringlich. »Bohren Sie nicht zu tief. Ich möchte nicht, daß Ihnen etwas geschieht. Und bedenken Sie, Jonas Vandenberg steht kurz vor einer großen politischen Karriere. Wägen Sie die Verhältnismäßigkeit Ihres Vorgehens ab. Manchmal geht es auch um das Wohl der Masse.«
»Haben Sie schon mal was vom Zug der Lemminge gehört? Sie laufen und laufen, und einer nach dem andern stürzt ins Meer, und alle ersaufen. Die Masse verhält sich oft ebenso, vor allem, wenn einer mit schönen, schmeichlerischen Worten daherkommt. Schönen Tag noch«, sagte Brackmann und wollte sich gerade zum Gehen wenden, sah aber Engler noch einmal an, hob die rechte Hand und deutete mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn. »Wissen Sie, ich glaube, es gibt eine ganze Menge Jonas Vandenbergs. Wahrscheinlich ist seine Sorte über die ganze Welt verteilt. Und manche sitzen in gefährlichen Positionen. Und irgendwann drückt vielleicht mal einer den falschen Knopf und jagt uns alle in die Luft. Tut mir leid, ich gehöre nicht zu den Opportunisten, die ihr Fähnlein in den Wind hängen und sich von einem Haufen Geld blenden lassen.«
»Worauf wollen Sie damit anspielen?«
»Das wissen Sie ebensogut wie ich –
Herr Pfarrer!
«
Engler erwiderte nichts, fragte nur: »Hat sich übrigens in der Vergewaltigungssache etwas ergeben?«
»Der Fall ist geklärt.«
»Oh, so schnell? Und darf man erfahren, wer der Täter ist? Oder bleibt auch dies eines Ihrer Geheimnisse?«
»Eigentlich sollte es dies tatsächlich bleiben. Wenigstens vorläufig. Aber gut, ich nenne Ihnen den Namen – Nathanael Phillips. Ich gehe davon aus, daß Sie Ihre Schweigepflicht in diesem Fall genauso ernst nehmen wie bei Frau Olsen.«
Englers Gesichtsausdruck ging weit über normales Entsetzenhinaus. Er erhob sich, ging zum Fenster, seine massige Gestalt bebte. »Nathanael?« fragte er fassungslos. »Dieser Junge soll so etwas Schreckliches getan haben? Es klingt so irreal, so unwahrscheinlich. Sie täuschen sich auch nicht?«
»Er hat es zugegeben. Auch mir erschien es anfangs unwahrscheinlich. Bis ich mit ihm gesprochen habe. Er ist ein armer Kerl.«
»Die Phillips sind eine recht gute Familie.«
»Ja, eine sehr gute Familie«, sagte Brackmann höhnisch. »Dazu paßt vielleicht, daß sein Vater ihn am liebsten gleich totgeschlagen hätte und seine Mutter versuchen will, die Sache mit Geld aus der Welt zu schaffen. Reizend, nicht? Doch was immer geschieht, der Junge wird sich verantworten müssen.«
»Gehen Sie behutsam mit ihm um.«
»Ich soll immer mit allen behutsam umgehen! Ich mache Ihnen einen Vorschlag – Sie kümmern sich weiter um die geistigen Belange Ihrer Schäfchen und ich mich um die sonstigen!«
»Natürlich, tut mir leid. Kann ich mit dem Jungen sprechen?«
»Selbstverständlich, wann immer Sie wollen. Er wird noch bis mindestens morgen abend mein Gast sein, erst dann kommt der Staatsanwalt zurück. Frau Phillips will nämlich ihren Sohn auf Kaution aus dem Gefängnis holen.«
»Gut, ich werde morgen im Laufe des Vormittags vorbeikommen.«
Mathilde stand unbemerkt von Brackmann und Engler in der Tür. »Herr Pfarrer, da draußen sind ein paar Leute, die Sie unbedingt sprechen möchten. Die Grünerts und Frau Hahne. Sie machen einen sehr niedergeschlagenen
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