Der Fotograf
genauer gesagt. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Ihr Bruder ein unverzichtbarer Zeuge sein könnte. Möglicherweise ist er sogar im Besitz von Fotos zum Verbrechen, die uns weiterhelfen könnten.«
Sie fand den Gebrauch des Pluralis majestatis besonders wirkungsvoll. Ihre Wortwahl schien ihr gelungen, besonders der Einfall mit den Fotos. Das erweckte den Eindruck, Douglas Jeffers könnte der Polizei helfen. Vielleicht würde es an das bürgerliche Pflichtgefühl des Doktors appellieren. Falls er denn ein solches besaß. Sie forschte im Gesicht des Bruders nach irgendeinem Anzeichen, dass er etwas wusste oder vermutete.
Er schien jedes Wort sorgsam abzuwägen. Wieder fluchte sie innerlich. Versuche, ihn emotional zu packen, dachte sie. Dann öffnet er sich hoffentlich. Doch bevor sie das Wort ergreifen konnte, stellte er eine Frage.
»Also, ich verstehe immer noch nicht. Doug hat mir gegenüber nie etwas davon erwähnt. Vielleicht könnten Sie mir ein bisschen mehr erklären?«
Sie dachte nicht daran.
»Sie stehen Ihrem Bruder nahe?«
»Nun ja, bis zu einem gewissen Grad stehen sich alle Brüder nahe, Detective. Sie haben sicher auch Familie, Sie kennen das bestimmt.«
Eine ausweichende Antwort, dachte sie.
»Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Nun, sein letzter richtiger Besuch ist Jahre her …«
Dr. Harrison fiel ihm ins Wort. »Marty, hat er dich nicht erst letzte Woche besucht?«
Jeffers wünschte sich, seinem Freund einen funkelnden Blick zuwerfen zu können, damit er den Mund hielt, doch ihm war klar, wie gefährlich das wäre. Er versuchte mit aller Macht zu verstehen, worauf die Polizistin hinauswollte. Er traute keinem ihrer Worte. Ebenso wenig dem falschen Lächeln und dem plötzlich so unbeschwerten Umgangston, denn er wusste mit dem sicheren Instinkt eines Mannes, der sich sein ganzes Leben lang mit Ängsten quälte, dass sein Bruder in Schwierigkeiten steckte, und der Teufel sollte ihn holen, wenn er ihn noch weiter reinritt.
»Ach so, ja, das stimmt, Jim, aber er hat nur auf ein kurzes Mittagessen vorbeigeschaut, und dann war er schon wieder weg. Das kann für Detective Barren kaum von Interesse sein.«
»Aber er hat Ihnen gesagt, wohin er wollte?«, fragte die Polizistin.
Martin Jeffers schoss das Bild seines Bruders in den Kopf, wie er ihm die kryptische Auskunft über seine Urlaubspläne gab. Er musste überlegen. Was hat er noch gleich gesagt? Was hat er gemeint? Jeffers blickte auf und sah, dass wieder diese Intensität im Blick der Polizistin lag.
»Soweit ich mich entsinne, nicht«, erwiderte Jeffers hastig. Er hätte sich dafür ohrfeigen können, wie überstürzt die Antwort klang.
Einen Moment herrschte Schweigen im Raum.
Mercedes Barren lächelte. Sie kaufte ihm die abschlägige Antwort nicht eine Sekunde ab.
Wieder trat eine Pause ein, bevor Jeffers seinerseits fragte:»Sie waren gewiss in seiner Fotoagentur, Detective, oder? Konnten die Ihnen nicht weiterhelfen? Ich weiß, dass sie ihre Mitarbeiter immer gerne im Auge behalten, selbst wenn sie mit irgendeiner Guerillaarmee durch irgendeinen Dschungel stapfen …«
»Sie wussten nicht …«, fing Detective Barren an und brach mitten im Satz ab. Idiot!, dachte sie. Nichts preisgeben! Sie war wütend und versuchte augenblicklich, Boden gutzumachen. »Sie konnten nichts Genaues sagen, aber sie haben mir geraten, mich an Sie zu wenden, deswegen bin ich hier.«
Sie fischt im Trüben, dachte Martin Jeffers. Fragt sich bloß, wie trübe.
»Wissen Sie, Detective, das ist alles sehr verwirrend für mich. Sie kommen her und fragen mich nach meinem Bruder, mit dem ich seit Jahren kaum Kontakt habe, um ihn wegen einer Straftat zu vernehmen, die Sie nicht weiter benennen. Sie haben mir bis jetzt nicht einmal verraten, um was für ein Verbrechen es sich handelt oder was er darüber möglicherweise wissen könnte. Sie signalisieren, es sei wichtig, dass Sie ihn sofort erreichen, erklären aber nicht, wieso. Ich weiß einfach nicht, Detective. Ich glaube, Sie haben das Pferd beim Schwanz aufgezäumt. So funktioniert das nicht. Ich meine, ich möchte natürlich mit der Polizei kooperieren, aber ich verstehe das Ganze nicht.«
»Tut mir leid, Doktor, aber ich kann keine vertraulichen Informationen weitergeben.«
Das war eine lahme Ausrede, und das wusste sie. Seine Antwort kannte sie im Voraus.
»Nicht? Nun ja, dann tut es mir auch leid.«
Wenn du mauerst, kann ich das auch, dachte er.
Sie starrten einander, wiederum
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